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Zur Ausstellung »Rembrandts Strich« im Kupferstichkabinett im Residenzschloss der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

1556 dankte Kaiser Karl V. in Brüssel ab. Sein Heiliges Römisches Weltreich Deutscher Nationen zerfiel und wurde aufgeteilt. Auch Holland konnte sich unter Wilhelm von Oranien aus den Klauen der spanischen Dynastie befreien und wurde 1579 unabhängig. Das Land erlangte nach kurzer Zeit durch einen aufblühenden intensiven Handel und durch die Eroberung großer Kolonialgebiete Geltung und Reichtum. Während dieser politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Blütezeit des Landes wurde Rembrandt van Rijn 1606 in Leiden geboren. Schon 1631 schrieb der Diplomat, Dichter und Komponist Constantijn Huygens in seiner Autobiografie (2):

„Sie kommen ihren berühmtesten Zeitgenossen gleich und werden sie bald übertreffen. Der Vater des einen, Lievens, ist ein Sticker, der Vater des anderen, Rembrandt, ein Müller. Die Eltern haben ihnen aus Mangel an Geldmitteln nur ganz gewöhnliche Lehrer geben können … Sie verdanken ihren Lehrern nichts, sich selbst alles ... .“
Constantijn Huygen
Selbstbildnis mit aufgerissenen Augen, 1630
Rembrandt van Rijin
Kupferstich-Kabinett
© SKD, Foto: Andreas Diesend

Im gleichen Jahr 1631 verlegte Rembrandt seine schon bekannte Malwerkstatt nach Amsterdam. Er lernte über einen Freund seine aus wohlhabenden Verhältnissen stammende Frau Saskia van Uylenburgh kennen, die er 1634 heiratete. Schon 1642 starb sie nach schwerer Krankheit, auch keines ihrer gemeinsamen Kinder überlebte Rembrandt. Eine Testamentsbestimmung Saskias verbot ihm eine zweite Heirat, so dass die spätere Beziehung zu seiner Haushälterin Hendrickje Stoffels eine ungesetzliche bleiben musste. Vor 350 Jahren, am 4. Oktober 1669 starb Rembrandt in Amsterdam.

Er hinterließ etwa siebenhundert Gemälde, dreihundert Radierungen und eintausenddreihundert Zeichnungen. Rembrandt van Rijn ist einer der Größten seiner Zunft mit einer Ausstrahlung bis in unsere Tage, vor allem in seinen graphischen Werken zeitlos modern. Weltweit gedenken Museen der Wiederkehr seines Todestages, allein in Deutschland sechs führende Einrichtungen. Betonen dabei eine beachtliche Zahl das graphische Werk Rembrandts, so sticht diesbezüglich ein museales Event schon vom Namen her heraus: »Rembrandts Strich« – die Dresdener Würdigung im Kupferstichkabinett des Residenzschlosses. Die Staatlichen Museen Dresden verfügen neben den Gemälden Rembrandts über eine der größten Sammlungen seiner Zeichnungen und Druckgrafiken. Sie sind der Grundstock dieser Ausstellung, die anhand von rund 100 grafischen Werken zeigt, in welch genialer Weise Rembrandt mit seinen lebendigen, erzählenden, aussagekräftigen Werken es vermochte, Künstler bis heute zu animieren, sich an seinen Bildern zu reflektieren und zu orientieren.

Dabei spielt der »Strich« eine große Rolle. Die sehr engagiert und kreativ kuratierte Ausstellung (Stephanie Buck und Jürgen Müller mit Mailena Mallach) fordert zur Unterscheidung zwischen »Linie« und »Strich« auf. Bezeichnet die Linie, gleich welcher Stärke, Form und Größe, das Begrenzende, die fertige Figur oder Fläche, so meint der Strich »zunächst einmal eine Handlung. … Im Strich realisiert sich eine Bewegungsspur, ein Prozess des Werdens, der Veränderung in sich trägt.« (1). Dieser in Rembrandts Arbeiten immer wieder zu beobachtende lebendige, frei gesetzte, einfallsreich-brillante Strich unterscheidet seine Arbeiten von seinen großen Vorbildern in der Antike und von Raffael oder Dürer, den Arbeiten der Renaissance.

Schon aus seiner Leidener Zeit zeugt ein um 1628 mit schwarzer Kreide geschaffenes Werk von Rembrandts frühen und außergewöhnlichen Zeichenkünsten: Das Bild »Alter Mann mit ausgebreiteten Armen« ist zum einen mit einer so freien, unkonventionellen Strichweise geschaffen, die andererseits treffsicher eine frohe, einladende Geste durch den alten Mann vermittelt. Schon in dieser frühen Zeit kann man das Gefühl des Künstlers für Licht und Schatten bewundern, das für all seine Werke so typisch ist.

Alter Mann mit ausgebreiteten Armen, 1628/29
Rembrandt van Rijn
Kupferstich-Kabinett
© SKD, Foto: Herbert Boswank

Diese Kreidezeichnung war Jahre später (1659) Vorlage für seine Radierung »Petrus und Johannes heilen einen Lahmen an der Pforte des Tempels«.

Das umfangreiche künstlerische Erbe zeigt einen Arbeitselan bis ins hohe Alter. Familiäre und finanzielle Sorgen konnten Rembrandts Arbeitseifer nicht bremsen. Zahlreiche kleine gezeichnete oder radierte Selbstbildnisse in z.T. kurioser Verkleidung, unterschiedlichsten Mimiken waren die Grundlage für die meisterhaften individuellen Porträts seiner Zeitgenossen. Sie berichten, wie er sich selbst sah, zeigten ihm, wie er auf seine Umwelt wirkte. Ausdruck des Stolzes und Begehrens mit anderen gleichzuziehen, zeigt sich in dem »Selbstbildnis mit aufgelegtem Arm« von 1639. Ein gerader, offener Blick trifft den Betrachter, ein üppig radiertes, wertvolles Gewand kommentiert die gehobene soziale Stellung, das locker, schräg aufsitzende Barett deutet seinen künstlerischen und lebendigen Lebensstil an.

Ähnliches lässt sich bei den zahlreichen Grafiken und Bildern verfolgen, die er von seiner Saskia als Verlobte, Braut, als Selbstbildnis mit ihr oder als ans Bett Gefesselte zeichnete. Sie erscheint als die eigentliche Saskia, aber auch als Modell für verschiedene Studien.

Selbstbildnis mit Saskia, 1636
Rembrandt van Rijn
Kupferstich-Kabinett
© SKD, Foto: Andreas Diesend
Saskia im Bett, 1638
Rembrandt van Rijn
Kupferstich-Kabinett
© SKD, Foto: Herbert Boswank

Man verweile an dem 1633 mit einem Silberstift gemalten »Bildnis Saskia als Braut«. Peinlich genau gezeichnet schaut die verliebte Saskia auf den Betrachter, bedeckt mit einem blumengeschmückten Strohhut deuten Rembrandts »Striche« mutig und gekonnt auf Kleid und Arme. Saskia stützt sich auf, auf etwas, was nur mit wenigen Strichen wie spontan angerissen ist. Helligkeit und Schatten zaubern ein harmonisches Gesicht, nur gefühlsmäßig angedeutet kündet der verschmitzte Mund von Freude und Erwartung.

Saskia als Braut, 1633
Rembrandt van Rijn
© bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Foto: Jörg P. Anders

Zwei Arbeiten Rembrandts überragen ob ihrer universellen Aussage und ihrer künstlerischen Meisterschaft viele andere. Es sind das Gemälde »Die Nachtwache« von 1642 und das »Hundertguldenblatt«, seine berühmteste Radierung, wahrscheinlich aus den Jahren 1647-48. Anregungen aus der Renaissance verarbeitend schuf Rembrandt zahlreiche Vorarbeiten, die zum Teil erhalten und zu sehen sind. Auffällig ist die großartige Raumkomposition mit dem vor dem Altar stehenden Christus im Zentrum des Bildes. Rechts und links von ihm bewegen sich ineinander fließende Menschengruppen, rechts von Christus im grellen Hell, leicht erhöht, die Reichen, Streitenden und Fordernden, auf der linken Seite zu ebener Erde die Armen, Verwahrlosten, Kranken und Hinfälligen. Durch das hinter ihnen durch ein Kamel verschlossene Tor dringt ein wenig Licht in den Raum, sie dezent beleuchtend. Tiefergehend betrachtet, hat Rembrandt Figuren antiker und christlicher Vorfahren in dieser Radierung verarbeitet, die seine umfassenden Kenntnisse diesbezüglich belegen. Er schaffte mit diesem Werk ein wahres Abbild des Lebens und der Menschen seiner Zeit, überbot aber mit seiner Aussage eine hinlänglich angewendete biblische Aussage. Vielmehr ist es eine zeitlose Mahnung für Gerechtigkeit und gegen menschliches Leid – bis heute.

Hundertguldenblatt, um 1647/48
Rembrandt van Rijn
Kupferstich-Kabinett
© SKD, Foto: Andreas Diesend

Zahlreiche Skizzen, Zeichnungen und Radierungen zeugen vom lernenden und lehrenden Rembrandt. Er schuf sich sein handwerkliches Rüstzeug in der Lehre bei zwei holländischen Malern. Selbst unterrichtete er im Laufe seines Lebens etwa 50 Schüler. Zeugnisse seiner eigenhändigen Korrektur auf Bildern des Nachwuchses sind erhalten. Ergänzend dazu zeigt die Ausstellung eine Reihe von Beispielen zur Aktzeichnung oder Darstellung von Tieren.

Auch mit seinen unverstellten Beobachtungen aller körperlichen Bedürfnisse regte er heutige Künstler zur Nachahmung an. Man kann es vergleichen.

Peeing with a blue dress on, 1996
Marlene Dumas
© bpk / CNAC-MNAM / Estate Brassai, Foto: Philippe Migeat

Wichtiger sind aber die vielen Künstler, die in den folgenden 350 Jahren seine großen Themen aufgriffen. Seien es Selbstbildnisse von van Hoogstraten (einem seiner Schüler), dem Dresdener Christian W. E. Dietrich oder dem Berliner Georg Friedrich Schmidt, von Francisco de Goya, Henri de Toulouse-Lautrec, Lovis Corinth, Max Beckmann oder A. R. Penck und Horst Jansen oder christliche Themen wie »Joseph und Potiphars Frau« von Lovis Corinth, das Thema »Ecce Homo« von Pablo Picasso, Themen der römischen Mythologie wie »Jupiter und Antiope« von Pablo Picasso oder Themen der griechischen Mythologie wie »Diana und Actaeon«, der sich William Kentridge mit »Sleeper« 1997 widmete.

Ecce Homo, 1636
Rembrandt van Rijn
Kupferstich-Kabinett
© SKD, Foto: Andreas Diesend
Sleeper (Ubu Drawing), 1997
William Kentridge
© SKD, Schenkung Sammlung Hofmann, Foto: Andreas Diesend

Ergänzend fragt die in Prag arbeitende Künstlerin Adela Souckova (*1985) mit einer raumfüllenden Installation im Foyer des Kupferstichkabinetts nach der Relevanz Rembrandts in der Gegenwart.

Eine Videoarbeit »Junks« der niederländischen Künstler J. de Rijke (1970-2006) und W. de Rooij (*1969) wenden den Blick anhand der Bilder Rembrandts in die Gegenwart, um die Bedeutung des Einzelnen in der heutigen Zeit zu untermauern.

Die Dresdener Ausstellung »Rembrandts Strich« ist ein Meilenstein in der kunsthistorischen Arbeit mit und um Rembrandt. Beschäftigten sich frühere Präsentationen mit der reinen Darstellung des Werkes an sich, beleuchtet diese das künstlerische Genie des Malers vor allem in seiner grafischen Arbeit. In einer anschaulichen Weise wird gezeigt, wie frei, lebendig und unglaublich modern Rembrandt in der Lage war, seine Themen, seine Zeit niederzulegen. Es gelingt den Kuratoren auf vielfältige Weise Verbindungen, Bezüge zu Vorbildern aus der Antike und der christlichen Mythologie herzustellen. Gleichzeitig zeigen sie auf, welche übermäßige Bedeutung Rembrandts Schaffen für die nachfolgenden Künstlergenerationen hat.

Rembrandts Strich

Vom 14. Juni bis 15. September 2019
Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Kupferstichkabinett im Residenzschloss

Eingänge Sophienstraße, Schloßstraße, Taschenberg

Öffnungszeiten:
10 bis 18 Uhr, dienstags geschlossen
zusätzliche Öffnungstage: 18.6., 25.6., 2.7.,9.7.

Website: https://kupferstich-kabinett.skd.museum/

Literaturquellen:

  1. Rembrandts Strich, Hrsg. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, S. Buck, J.Müller, M. Wallach, Ausstellungskatalog, S.19
  2. Rembrandt (Welt der Kunst), Hrsg. Ernst Vogel, 2. Henschelverlag 1967, S. 5