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Zur Ausstellung »Point Of No Return« – Wende und Umbruch in der Ostdeutschen Kunst im Museum der bildenden Künste Leipzig

Es waren diese Tage im Spätsommer und Frühherbst 1989, als vor 30 Jahren die offiziellen Durchhalteparolen der DDR-Regierenden an den demokratischen Forderungen der großen Mehrheit der Bevölkerung zerbrachen. Tag für Tag verließen immer mehr Menschen das Land. Das in jeder Hinsicht zwanghafte Leben im ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat war wirtschaftlich und politisch am Ende. Eine nie geglaubte »Wende« ereilte ein ganzes Land. Hoffnungen auf ein geeintes Deutschland stritten mit den Vorstellungen einer demokratisch gewandelten DDR. Politische Diskussionen beherrschten das Land, alle Bereiche der Gesellschaft erfassend. Prägende Kraft für die friedlichen Auseinandersetzungen waren die allmontäglichen, immer größer werdenden Demonstrationen in der Leipziger Innenstadt. Zu Hunderttausenden erklangen die Forderungen nach Freiheit, Demokratie und Einheit des Landes.

Aufbruch (aus dem Zyklus »Sieben Bilder zur Geschichte der Sowjetunion«), 1989/90
Norbert Wagenbrett
Öl auf Leinwand, 181 x 132 cm
Kunstarchiv Beeskow
Foto: Andreas Kämper, © VG Bild-Kunst Bonn, 2019

Es ist nur folgerichtig, dass 30 Jahre nach diesen Ereignissen ein Leipziger Museum, das Museum für Bildende Künste Leipzig (MdBK) in hervorragender Weise eine Ausstellung gestaltet, die die Künstlerinnen und Künstler beleuchtet, die im Umfeld dieser Jahre vor, zur und nach der Wende ihre Gedanken zu den politischen Ereignissen künstlerisch zum Ausdruck brachten. In besonderer Weise muss man das Kuratorenteam mit Herrn Paul Kaiser (Direktor Dresdner Institut für Kulturstudien), Herrn Christoph Tannert (Leiter Künstlerhaus Bethanien, Berlin) und Herrn Alfred Weidinger (Direktor des MdBK Leipzig) erwähnen, die in einer sehr persönlichen, kenntnisreichen und engagierten Art diese Kunstwerke aufbereitet haben. Das ist insofern erwähnenswert, weil die von 106 Künstlerinnen und Künstlern geschaffenen 300 ausgestellten Werke zum großen Teil unbekannt sind, noch in den Ateliers verweilten, sich im Privatbesitz, in Galerien befinden oder kleineren Präsentationen zugeordnet waren. Es gibt nur für etwa 10% der Künstlerinnen und Künstler eine schriftliche Erwähnung in Form einer Monografie, eines Ausstellungskataloges oder -beschreibung. Eine Aufarbeitung blieb bisher völlig aus. Ein Teil ist bereits verstorben, viele haben schon ein hohes Alter, andere waren zur Wende noch Kinder. Es ist Zeit, an alle zu denken und sie – soweit möglich – festzuhalten. Der Direktor des MdBK, Herr Alfred Weidinger, hat durch einen wöchentlichen Podcast mit den ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern damit begonnen

Konstruktive Beschwörung, 1991
Hans Winkler
Gouache und Latex auf Leinen, 140 x 120 cm
Nachlass Hans Winkler, Chemnitz
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © VG Bild-Kunst Bonn, 2019

Sie alle haben wichtige Werke zu einer der brisantesten Phasen der neueren deutschen Geschichte geschaffen, haben ihre Schicksale, Einschränkungen, Verfolgungen, ihren Schmerz, ihren Aufschrei mit ihren Werken in die Welt getragen. In einer sehr individuellen Weise werden unterschiedliche Handschriften und Denkarten, radikal, direkt, doppelsinnig dargestellt. Viele unbekannte Namen, wenige ehemals staatstragende Künstlerinnen und Künstler, begegnen uns, Persönlichkeiten, die den Weg der Ausreise wählten und im Blick zurück malten, oder Persönlichkeiten, die ihren Frust in der Abgeschiedenheit des Ateliers ihrer Staffelei anvertrauten. Wir haben das Glück, mit dieser Ausstellung »POINT OF NO RETURN« einen umfassenden Überblick zur künstlerischen Bewältigung der »Wende« in ihren unterschiedlichen Auffassungen politisch wie künstlerisch zu erhalten.

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Der in den ersten Jahren der DDR-Existenz in der Kunst vorherrschende und propagierte Sozialistische Realismus bekam in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmenden Gegenwind durch modernere Auffassungen (Karl-Marx-Stadt/Dresden), einer Gegenkultur. Sie war »lebensweltliche Grundlage, auf der sich dann in der späten DDR politische Initiativen, Gruppen und Programme auszudifferenzieren vermochten« (Katalog S. 29), wobei diese Gegenkultur in der Kunst zu keinen politisch oppositionellen Aktivitäten führte.

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Kritisch beleuchtet ein Teil der Werke (Wasja Götze, Helge Leiberg und Via Lewandowsky z.B.) den schweren Stand, den die »ostdeutsche« Kunst nach 1990 durch eine wiederholte Ignoranz durch den westlichen Kunstbetrieb erdulden musste. Nichtbeachtung für Ausstellungen, öffentliche Degradierung durch Kunsthistoriker bis zum Dresdner Bilderstreit von 2017/2018 bezeugen den schweren Stand.

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All das unterstreicht die Wichtigkeit der Leipziger Ausstellung »POINT OF NO RETURN«! Für den Besuch der Präsentation sind führende Raumtexte zu beachten, die in hervorragender Weise die Künstlerinnen und Künstler erklären, Werke benennen, aber auch veranschaulichen, wie vielfältig die Handschriften, die Gedanken der Künstlerinnen und Künstler sind, wie gegensätzlich, tragisch, ironisch, verkappt oder direkt Motive berichten.

Einige Beispiele:

Der Raum 37 »Die reizende Mauer« zeigt u.a. vom Ostberliner Maler und Grafiker Hans Ticha ein Bild aus einem Werkzyklus mit direkten hochpolitischen Themen

Agitator (Rufer), 1988
Hans Ticha
Öl auf Leinwand, 194 x 134 cm
Galerie Läkemäker Berlin
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © VG Bild-Kunst Bonn, 2019

Raum 39 »Elbhang und Neustadt«

In beiden Dresdner Bezirken kam es nach 1980 zu den wirkmächtigsten Lebensformen, die eine lokale Kultur- und Kunstszene etablierten und sich den Angeboten des staatssozialistischen Systems verweigerten

Trunkenes Paar, 1981
Lutz Fleischer
Öl auf Leinwand, 131 x 116 cm
Privatbesitz
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © Künstler

Raum 43 »Niemandsland«

Dieser Raum widmet sich der Berliner Mauer, stellt aber damit im Zusammenhang auch die Frage nach Schuld und Sühne, wofür es im 20. Jahrhundert mit seinen Grausamkeiten reichlich Anstöße gab (Untergang der Titanic (Lutz Friedel) oder Jubel über den Mauerfall (Ellen Fuhr)).

Die reizende Mauer, 1988
Wasja Götze
Öl auf Hartfaserplatte, 92 x 123 cm
Privatbesitz
Foto: Künstler, © Künstler

Lutz Friedel weist mit seinem Bild »Adler« (Die Brüder) eindrücklich auf die Teilung von Stadt und Land hin.

Adler (Die Brüder), 1989
Lutz Friedel
Öl auf Bitumen und Plastikteile auf Leinwand, 220 x 220 cm
Privatbesitz
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © VG Bild-Kunst Bonn, 2019

Raum 46 „Die große Passage“

Dieser Raum widmet sich nur dem über 6 Jahre gemalten Bilderzyklus »Passage« der Leipziger Künstlerin Doris Ziegler. Sie schildert die Entwicklung der Leipziger Innenstadt vom kulturellen Rückzugsort zu einem repräsentativen Zentrum der Nachwende. Ein ganzes Land macht sich auf den Weg »Große Passage«.

Große Passage, 1989/90
Doris Ziegler
Mischtechnik auf Leinwand, 295 x 350 cm
Privatbesitz
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © VG Bild-Kunst Bonn, 2019

Raum 47 »Romantisches Ich«

Der Irrsinn des Eingesperrtseins und die Tragik der Hilflosigkeit zeigt Jürgen Schäfer in »Ich und Ich«.

Ich und Ich (I), 1980
Jürgen Schäfer
Acryl auf Leinwand, 200 x 100 cm
Privatbesitz
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © Künstler

Raum 48 »Wendeschleife«

Bilder der sterbenden DDR. Die Bilder werden radikaler und direkter, wie z.B. »Zungenabschneider« von Trak Wendisch.

Zungenabschneider, 1988
Trak Wendisch
Mischtechnik auf Leinwand, 130 x 130 cm
Privatbesitz
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © VG Bild-Kunst Bonn, 2019

Raum 58 »Transit«

Ausreise! Ein Raum, der die Leere und Verlassenheit widerspiegelt, die die entwurzelten Menschen fühlen mussten.

o.T. (aus Horizontebilder), 1985/86
Cornelia Schleime
Mischtechnik auf Japanpapier auf Flies, 140 x 140 cm
Sammlung Leo Lippold
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © Künstlerin

Nachwende! Bald hatte uns die Faszination der Großstadt wieder eingeholt, was der Berliner Maler Clemens Gröszer und seine Künstlergruppe Neon Real aufgreifen.

Marin á cholie, 1991/92
Clemens Gröszer
Mischtechnik auf Leinwand, 176 x 88 cm
Brandenburgisches Landesmuseum für moderne Kunst
Foto: InGestalt/Michael Ehritt, © VG Bild-Kunst Bonn, 2019

POINT OF NO RETURN – eine große, eine interessante, eine wichtige Ausstellung, eine Ausstellung, die all die Schicksale, Träume, Visionen derer berührt, die vor 30 Jahren die Wende erleben durften, die aber auch den Jungen unter uns bildhaft zeigt, dass nur eine offene, streitbare Demokratie eine lebenswerte Gesellschaftsform ist.

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher lesenswerter Katalog für 35 € im Museumsshop und 45 € im Buchhandel

Point Of No Return
Wende und Umbruch in der Ostdeutschen Kunst

Vom 23. Juli bis 3. November 2019
Museum der Bildenden Künste Leipzig

Katharinenstraße 10
04109 Leipzig

Öffnungszeiten:
Di, Do bis So 10 bis 18 Uhr
Mi 12 bis 20 Uhr
Mo geschlossen

Weitere Informationen und das Begleitprogramm zu »Point Of No Return« finden sie auf der MdbK Leipzig Website