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Zur Ausstellung »Das Comeback – Bauhaus Meister Moderne« im Kunstmuseum Moritzburg Halle/Saale

Der erste amtlich bestellte und sicher neben Dr. Alois Jakob Schardt (1889-1950) wirkungsvollste und erfolgreichste Direktor des halleschen Kunstmuseums Max Sauerlandt (1880-1934) formulierte seine Sammlungsgrundsätze 1911 wie folgt: »Was von dem einzelnen Kunstwerk gilt, gilt auch von dem Museum, der Stätte repräsentativer Schaustellung von Kunstwerken: das Ganze muß im Geiste schon fertig vorhanden sein, ehe die einzelnen Teile entstehen, die Praxis soll nur die bewußte Erfüllung eines durchdachten Entwurfes sein« (Katalog S.24).

Hier in der Moritzburg erleben wir es im Original!

Das letzte Abendmahl, 1909
Emil Nolde
Öl auf Leinwand, 86 x 107 cm
Statens Museum for Kunst, Kopenhagen
Foto: SMK Photo, Jakob Skou-Hansen © Nolde Stiftung Seebüll

Die Ausstellung »Das Comeback – Bauhaus Meister Moderne« als eine große, geschichtsverpflichtende Präsentation der zwischen 1908 und 1939 in Halle aufgebauten Sammlung moderner Kunst verbindet nicht nur die Geschichte des Kunstmuseums mit den Einflüssen des Bauhauses zu jener Zeit und dokumentiert den vernichtenden Einfluss extremer politischer Ansichten in der Kunst, sondern weist den Weg in die Zukunft durch eine 3-D-Visualisierung des Entwurfes für ein Kunstmuseums der Stadt Halle (Saale) von Walter Gropius.

Dafür wurden große Teile des Museums umgebaut, neu strukturiert und einzigartige Sichtachsen zwischen den Räumen geschaffen. Dieses größte Projekt in der jüngeren Museumsgeschichte der Moritzburg bedurfte einer immensen Vorarbeit, denkt man allein an die Recherchen, die notwendig waren, um so viele wie nur möglich der von den Nazis als »entartet« gebrandmarkten Gemälde aus allen Teilen der Welt (Japan, USA, Großbritannien, Schweiz, Österreich, Deutschland) für diese Ausstellung nach Halle zu bringen. Insgesamt ist es mit 40 Bildern von 147 von den Nazis ausgesonderten Werken gelungen. Viele der übrigen sind in einem schlechten, »nicht reisefähigen« Zustand, viele verschollen (s.u.).

Alle hatten ihren Anteil an den umfänglichen Vorbereitungen dieser Ausstellung, alle Beschäftigten des Museums und viele andere dazu. Man spürt ihn, zwischen den Bildern und Plastiken, diesen Stolz, etwas Besonderes geschaffen zu haben und dieser ist berechtigt.

Links: Christian Rohlfs
Weiden im Frühjahr, 1904
Öl auf Leinwand, 73,5 x 100 cm
Clemens Sels, Museum Neuss
Foto: Walter Klein, Düsseldorf

Mitte: Wilhelm Lehmbruck
Badende, 1914
Steingut, 92 x 30 x 37 cm
Kulturstiftung Sachsen-Anhalt,
Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Wieland Krause

Rechts: Franz Marc
Eber und Sau, 1913
Öl auf Leinwand, 73,5 x 57,5 cm
Museum Ludwig, Köln,
Schenkung Autohaus Jakob Fleischhauer Köln 1954
Foto: Rheinisches Bildarchiv, rba_c000967 – Museum Ludwig, Köln

Der Rundgang ist klar thematisiert und zeigt eindrucksvoll, welch hervorragenden Platz das hallesche Museum in den Jahren zwischen 1909 und 1939 in der Präsentation moderner Kunst (Malerei, Grafik, Bildhauerei, Kunsthandwerk) in Deutschland einnahm. Man schaut auf die Originale der Neuerwerbungen von 1908-1926 durch die Direktoren Max Sauerlandt (1880-1934), Burkhard Meier (1885-1946) und Paul Thiersch (1879-1928). Prägend waren  der Kauf des »Abendmahles« von Emil Nolde 1909 (siehe oben) und die Erwerbung der Sammlung von Ludwig und Rosy Fischer aus Frankfurt/Main 1924, die den Bestand an Werken von Christian Rohlfs, Max Slevogt, Max Liebermann, Wilhelm Tübner, Walter Leistikow, Lovis Corinth, Curt Herrmann, Waldemar Rösler, Georg Kolbe, George Minne, Max Beckmann, Herrmann Haller, Wilhelm Lehmbruck, Paula Modersohn-Becker, Moïse Kisling, Moissey Kogan, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Franz Marc, Otto Mueller, Karl Schmidt-Rottluff und Edvard Munch vortrefflich ergänzten.

Links: Emil Nolde
Mulattin, 1913
Öl auf Leinwand, 77,5 x 73 cm
Harvard Art Museum/Busch-Reisinger Museum, G. David Thompson Fund
Foto: President and Fellows of Harvard College © Nolde Stiftung Seebüll

Rechts: Ernst Ludwig Kirchner
Damen im Café, 1914/15
Öl auf Leinwand, 70,5 x 76 cm
Brücke Museum Berlin, Foto: Nick Ash

Zwischen 1926 und 1935 sorgte Herr Dr. Alois J. Schardt als Direktor des Kunstmuseums in bester Weise für die Erweiterung des Bestandes, indem er Werke von August Macke, Oskar Kokoschka, Hans Reichel, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Georg Grosz, El Lissitzky, Kurt Schwitters, Oscar Schlemmer, Fritz Winter und weiteren der oben genannten hinzufügte.

Links: August Macke
Garteneingang (Kandern), 1914
Aquarell über Bleistift auf Aquarellpapier, 234 x 286 mm
Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

Mitte: Paul Klee
Ein Vorspiel zu Golgatha, 1926
Aquarell und Tusche, 46,5 x 30 cm
Miyazaki Prefectural Museum of Art, Japan, Foto: Miyazaki Prefectural Art Museum

Rechts: Oskar Kokoschka
Der Marabout von Temacin, 1928
Öl auf Leinwand, 98,5 x 130,5 cm
Musée Jenisch, Vevey, Foundation Oskar Kokoschka, Foto: Julien Gremaud, Vevey
© Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Links: Wassily Kandinsky
Abstieg, 1925
Aquarell und Tusche, 484 x 322 mm
Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

Rechts: Emil Nolde
Judas bei den Hohenpriestern, 1922
Öl auf Leinwand, 107,5 x 144 cm
Nolde Stiftung Seebüll, Foto: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg und Dirk Dunkelberg, Berlin © Nolde Stiftung Seebüll

Dr. Schadts Engagement, Lyonel Feininger zum Malen einer Halle-Serie anzuregen, verdient besondere Beachtung. Feininger bekam ein Atelier im Torturm der halleschen Moritzburg und schuf, begeistert von den Motiven der Stadt, 29 Zeichnungen und 11 Gemälde. Sieben der elf Gemälde sind im Original in einer sehr repräsentativen Hängung zu sehen.

Links: Lyonel Feiniger
Zirchow VI, 1916
Öl auf Leinwand, 80 x 100 cm
Memorial Art Gallery of the University of Rochester: Marion Stratton Gould Fund
Foto: Memorial Art Gallery of the University of Rochester © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Rechts: Lyonel Feiniger
Der Rote Turm II, 1930
Öl auf Leinwand, 100 x 85 cm
Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr
Foto: Stiftung Sammlung Ziegler © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Mit dem Jahr 1933 zerflossen alle Zukunftspläne des Museums. Dr. Schardt wurde beurlaubt und ließ sich entlassen. Systemkonforme Direktoren wechselten. Der Höhepunkt war aber noch nicht erreicht:

Am 8. Juli 1937 traf in Halle (Saale) eine Kommission um den Maler Wolfgang Willrich ein, die im Auftrag des Propagandaministeriums Werke für eine Ausstellung »deutsche Verfallskunst seit 1910« zusammentrug. An diesem Tag wurden aus dem 1935 im Dachgeschoss des Talamts installierten Sonderraums »Entartete Kunst« und dem Depot 62 Gemälde und Aquarelle beschlagnahmt. … Als Beispiele »schlechter« Kunst standen ab dem 17. Juli 1937 in der Propagandaausstellung »Entartete Kunst« in München Werke von Franz Marc, Karl Schmidt-Rottluff, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paula Modersohn-Becker und viele andere am Pranger. Von München ausgehend reiste die Feme-Ausstellung durch das Deutsche Reich und kam als letzte Station im April 1941 nach Halle (Saale).

Zu diesem Zeitpunkt war das Museum nach einer zweiten, noch umfassenderen Beschlagnahme am 28. August 1937 fast vollständig seiner Moderne »beraubt«. Insgesamt gingen infolge der Aktion »Entartete Kunst« 147 Gemälde und Arbeiten auf Papier verloren. Vier Kunsthändler waren mit der Aufgabe betraut, die Werke gegen Devisen ins Ausland zu veräußern, … Heute sind 15 einstmals verlorene Werke wieder Teil der Museumssammlung. Sie wurden in den vergangenen 30 Jahren käuflich zurückerworben. Von zahlreichen Arbeiten fehlt nach wie vor jede Spur.

(von einem Schreib-Poster der Ausstellung)

Eine neue Treppe verbindet die erste mit der zweiten Etage des Museums. Ist die Höhe erklommen, überrascht das Neue, das Digitale. Jetzt auch in der Kunst? Ja, und wie!

1927 schrieb die Stadt Halle einen Architekturwettbewerb für ein Kulturzentrum in attraktiver Lage hoch oben über der Saale aus. Auch Walter Gropius reichte einen Entwurf ein, der der damaligen Zeit weit voraus war (»Neues Bauen«) und uns noch heute begeistern würde. Dazu gehörte auch ein Museumsneubau. Der Entwurf dafür wurde überhaupt nicht beachtet. Nach einzelner Sichtung und Suche nach diesen Plänen fand man Originale in Gropius späterem Domizil in den USA. Der Studiengang Multimedia/Virtual Reality-Design an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale) entwickelte unter Anleitung von Prof. Bernd Hanisch die Möglichkeit, das nie erbaute Kunstmuseum virtuell zu begehen und auf den 3000 Quadratmetern begehbaren »Museumsdielen« die Sammlung der Moderne des halleschen Museums, wie sie bis zur ihrer Beschlagnahme durch die Nazis 1937 bestand, zu bestaunen.

 

VR-Installation digitales Museum: Blick in die Halle mit Skulpturen und kunsthandwerklichen Objekten der interaktiven Ausstellung mit Teilen der historischen Sammlung moderner Kunst, September 2019
Autoren: Team Stadtkrone.VR, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

In einem Extrakabinett begegnen wir den Bauhausmeistern der Malkunst mit Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Oscar Schlemmer, Georg Muche und Paul Klee.

Links: Lyonel Feiniger
Gelmeroda IX, 1926
Öl auf Leinwand, 100 × 80 cm
Museum Folkwang, Essen
Foto: Museum Folkwang Essen – ARTOTHEK ©VG Bild-Kunst, Bonn

Mitte: Wassily Kandinsky
Hornform, 1924
Öl auf Pappe, 57,5 × 49,5 cm
Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, 1953 erworben durch das Land Berlin
Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders

Rechts: Oskar Schlemmer
Geländer-Szene I, 1931
Aquarell über Bleistift auf Papier, 54 × 36 cm
Albertina Wien

Links: Georg Muche
Bild mit dem Gittermotiv in der Mitte, 1919
Öl auf Leinwand, 138,5 × 95 cm
Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, 1966 erworben durch das Land Berlin
Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg  P. Anders © Bauhaus-Archiv Berlin

Rechts: Paul Klee
Besessenes Mädchen, 1924
Aquarell und Ölfarbenzeichnung auf Papier auf Karton, 44,2 × 29,2 cm
Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler, Foto: Robert Bayer

Ab 1926 bemühte sich Dr. Alois J. Schardt mit Ausstellungen, Vorträgen und Pressemitteilungen Arbeiten dieser Künstler bekannt zu machen. Sein Interesse und sein Engagement für die Werke des Bauhauses belegen auch hier sein brillantes Qualitätsurteil. Faszinierende Beispiele der hohen Kunst der genannten Meister machen den Besuch dieser Station zu einem einmaligen Erlebnis. Eine große Fotoreproduktion, die alle fünf Künstler im Atelier von Paul Klee zeigen, vermittelt eine große Nähe zwischen den Werken, den Meistern … und den Besuchern.

Das Bauhaus war eine Schule. Was lag also näher, an Kinder zu denken. Studentinnen und Studenten des Studienganges Spiel- und Lerndesign der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle fertigten unter Anleitung von Frau Professorin Karin Schmidt-Ruhland die verschiedensten Exponate, mit denen Kinder zwischen 6-12 Jahren Bilder, Figuren, Farben oder Bauten der Bauhauskünstler nachempfinden können.

Ausstellungsansicht »rot, gelb, blau. Das Bauhaus für Kinder« in der Sonderausstellung »Bauhaus Meister Moderne. DAS COMEBACK«, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Siegfried Gergele

Auch die Porzellanmanufaktur Meissen ist zugegen. Auf der Suche nach neuen Ideen, nach zeitgemäßen Motiven bedient sie sich in einer limitierten und einer nicht limitierten Auflage eines Service mit Vorlagen von Wassily Kandinsky. Er hatte schon in den 1920er Jahren Dekors für Tassen und Teller entworfen, die aber nie umgesetzt worden waren.

MEISSEN × WASSILY KANDINSKY Limited Edition, Tasse mit Untertasse, Wassily Kandinsky, »Abstrakte Formelemente«, Motive 2 | Foto: © MEISSEN

Zahlreiche kunsthandwerkliche Exponate sowie die Darstellung der »Wege zur Burg der Moderne« durch Schenkungen und Stiftungen ergänzen die große Präsentation.

Parallel zur beschriebenen Ausstellung im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) zeigt die freischaffende Autorin, Fotografin und Vorsitzende des Museumsfördervereins Frau Dr. Angela Dolgner im MORITZKUNSTCAFE und im KUNSTHAUS APOLDA AVANTGARDE eine Fotoserie als Hommage an Lyonel Feininger. Mehrfachbelichtungen von Dorfkirchen des Weimarer Umlandes und Gebäuden in Halle (Saale) führen zu Überschneidungen, die an die für Feininger typischen Brechungen der Konturen erinnern. Mit diesen Bildern erreicht die Künstlerin Blickwinkel, die wir unbedacht erleben, wenn wir Bauwerke durch Bewegung aus immer neuen Perspektiven anschauen und in unser Bewusstsein projizieren. In einer Auflage von 500 Exemplaren sind die Motive in einem attraktiven Kalender für 2020 zusammengefasst.

Bauhaus Meister Moderne DAS COMEBACK – was für eine Ausstellung! Künstlerisch hochwertigste Arbeiten als Zeugen für die Höhen und Tiefen des vergangenen Jahrhunderts, Ausblicke in eine noch fast unbekannte virtuelle Darstellungsmöglichkeit von Kunstprojekten zeigen in der musealen Aufbereitung, den baulichen Gegebenheiten bis zu den kreativen Spielmöglichkeiten in »rot-gelb-blau« die enge Verzahnung zwischen Kunst, Kunsthandwerk, Handwerk, Technik und menschlichem Engagement – 100 Jahre Bauhaus!

Das Comeback – Bauhaus Meister Moderne

Vom 29. September 2019 bis 12. Januar 2020
Kulturstiftung Sachsen-Anhalt
Kunstmuseum Moritzburg Halle/Saale

Friedemann-Bach-Platz 5
06108 Halle (Saale)

Öffnungszeiten:
Mo, Di, Do bis So/Feiertage außer 24.12. und 31.12. 10 bis 18 Uhr

Das umfangreiche Veranstaltungsprogramm ist unter folgenden Web-Adressen zu erfahren: Kunstmuseum Moritzburg und Hallo Moderne.

Ergänzend und sehr informativ der Katalog mit 448 Seiten und über 600 Abbildungen, an der Museumskasse 29,90 Euro, im Buchhandel 40 Euro