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„Serge Poliakoff und Pierre Soulage“ in den Kunstsammlungen Chemnitz

Paris war für beide der Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens, beide wurden oder waren nicht nur Anhänger, sondern herausragende Vertreter der „Nouvelle Ecole de Paris“, beide berührten sich mit ihren lyrisch abstrakt gemalten Werken, von beiden kann man in den Kunstsammlungen Chemnitz bis Juni 2021 eine große Repräsentanz ihrer Arbeiten sehen: von Serge Poliakoff und dem 20 Jahre jüngeren Pierre Soulage.

Die „Nouvelle Ecole de Paris“ bezeichnet keinen Stil, sie ist keine Schule, sondern Ausdruck der künstlerischen Avantgarde nach 1945 für eine abstrakte, gegenstandslose Kunst. Schwankend und desillusioniert suchten sie, moralisch aber hoch motiviert, neue Ausdrucksformen, die eine größtmögliche Freiheit beim Entstehungsprozess ermöglichten. Diese etwa zwischen 1945 und 1960 entstandene Kunstströmung offenbarte aus der Sicht der Künstler weniger einen Stil oder eine bestimmte Struktur, vielmehr ihre künstlerische Haltung. In Europa unter dem Begriff „Informel“, formlose Kunst, praktiziert, gliederte sie sich in oft nahtlos ineinander gehende Varianten wie Tachismus (franz. „tache“ = Fleck), Lyrische Abstraktion oder auch Art Brut („Rohe Kunst“). Inhaltlich enge Beziehungen bestanden zu dem parallel in den USA aufkeimenden Abstrakten Expressionismus. Gemeinsam ist ihnen eine impulsive Malweise mit kräftigem, dynamischem Pinselstrich als Ausdruck der freien gestisch-expressiven Handlung, einer spontanen, kreativen Entäußerung des Unbewussten. Die Vielfalt möglicher Äußerungen fand sich aber eben auch in träumerisch-poetischen, in zartfarbigen, abstrakten Bildern wieder, in der lyrischen Abstraktion.

Serge Poliakoff (1900 – 1969) war ein außerordentlich begabter Mensch. Schon in frühen Jahren, die er in seiner Geburtsstadt Moskau verbrachte, zeigten sich seine Talente für Musik und das Zeichnen. Vor allem sein Können im Gitarrenspiel begleitete ihn ein Leben lang, half ihm vor allem schwere Zeiten zu überleben. Vor der russischen Revolution fliehend zog er unter zum Teil abenteuerlichen Bedingungen durch Russland, erreichte Konstantinopel, um schließlich sein Ziel in Europa, Paris, zu finden. Hier wird er nach 1923 bis auf einen 2jährigen Aufenthalt in London, sein Leben verbringen. Serge Poliakoff war verheiratet, sein Sohn Alexis übernahm die spätere Nachlassbetreuung.

Zeichen- und Malkurse in der Jugendzeit, Studien an der Pariser Akademie de la Grande, an der Akademie Forchot und an der berühmten Slade School of Fine Art in London bis 1937 belegen seine Begeisterung und das tiefe Gefühl für die Malerei. Dem Zeitgeist entsprechend und akademischen Traditionen folgend entstanden in diesen Jahren figurative Aktzeichnungen und Bilder mit Landschaftsmotiven. Doch Poliakoff wurde zu dem berühmten, erfolgreichen und bewunderungswürdigen Maler als er Avantgardisten der klassischen Moderne traf, die ihn begeisterten, die seinem Drängen nach neuen Ausdrucksformenden Wege wiesen. Weckte Wassily Kandinsky sein Interesse für die abstrakte Kunst, bezauberten Sonia und Robert Delaunay mit Farb – Emotionen, konnten ihn die schwungvollen Arbeiten Otto Freundlichs für neue Formen begeistern. 1938 malte er sein erstes abstraktes Bild.

Bei allen Vorbildern, seine Bildsprache wurde eine sehr eigene! Allein Farben realisierten fortan seine schöpferischen Gedanken, sie wurden Ausdruck und Struktur seiner Gedanken und Empfindungen. Er stellte bunte, in Schichten aufgetragene Farbflächen nebeneinander, streng gegliedert oder miteinander verzahnt, immer die Balance haltend, anfangs im graubraunen Ton, später, nach dem 2. Weltkrieg, mit kräftigen, leuchtenden Farben, die sich im zunehmenden Alter auf das Spiel mit monochromen Erdfarben reduzierten.

So wurde die Farbe selbst zum Medium einer sehr persönlichen Kunst. Dabei verloren sich zunehmend Linien und Konturen, allein die Farben bestimmten Form und Grenze. In einem seiner Notizhefte notierte er 1965 „Das Gemälde sollte monumental sein, d.h. größer als seine Dimension.“

Serge Poliakoff schuf eine Bilderwelt, die gefiel und gefällt, und ihn anerkannt zu einem Großen der europäischen Nachkriegskunst und des internationalen Kunstmarktes machte. Seine Bilder schaffen eine Welt, die frei jeglicher Einflüsse dem Betrachter eine gedanklich ganz persönliche Auseinandersetzung ermöglichen. 1969 erlag Serge Poliakoff einem Herzleiden. Zahlreiche Ausstellungen und Retrospektiven ehren sein Werk bis heute.
Wegweisend wurden für Pierre Soulage (* 1919 im südfranzösischen Rodez) folgende Worte:

„„Wenn Sie mit Schwarz und Weiß malen, packen Sie die Malerei bei den Hörnern und appellieren direkt an die Magie“ (1)“

gesprochen von Sonia Delaunay.  Er traf sie in den frühen 40iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Montpellier, wo er die dortige Ecole des Beaux-Arts besuchte.

Die Liebe zu dieser „Unfarbe Schwarz“ war zu diesem Zeitpunkt bei Pierre Soulage allerdings schon längst entbrannt. Sie lässt sich bis in die Kindheit zurückführen und selbst als er noch figürlich malte, liebte er entblätterte Bäume im Winter zu malen, deren schwarz anmutenden Stämme und Äste im Tageslicht eine wechselnd große Vielfalt boten. Das Dunkle, das Schwarze ist für ihn das Medium, Licht, dass sich um das Schwarze ausbreitet und reflektiert, darzustellen.

Die Farbe Schwarz, moduliert, glattgestrichen, glänzend, gespachtelt, gewalzt, in Schichten aufgetragen, durch Strukturen in Höhen und Tiefen gebannt, verzaubert das Licht in verschiedenster Weise. Abhängig davon, wie das Licht auf das Bild trifft, in welchem Raum es hängt, aus welcher Position das Bild betrachtet wird, bricht die Farbe das Umgebungslicht auf unterschiedlichste Weise. Diese Effekte überzeugten Pierre Soulage letztlich selbst seine Gemälde in dieser Weise fortzusetzen.

Es ist das Licht, das von der Farbe kommt, die ich schwarz nenne, …“ (2)

Maler des Lichts, „outrenoir“ – jenseits von schwarz!

Wir verbinden die Farbe „schwarz“ mit ernsten Anlässen, Trauer, Festlichkeiten, fühlen das Negative in dieser Farbe, nicht so Pierre Soulage, für ihn ist sie die gewaltigste unter den Farben, die anderen zu intensiverer Wirkung verhilft. Er sagt:

Wenn jemand geboren wird, sagt man: „Er hat das Licht der Welt erblickt.“ Was bedeutet dies? Das vorher alles schwarz war. Wir kommen aus der Dunkelheit, dem Schwarz. (2)

Er verbindet seineWirken mit den Anfängen in der Kunst, den Höhlenmalern in dunkler Umgebung, aber auch die Geradlinigkeit erhaltener keltischer oder romanischer Bauten in seiner Heimat haben ihn zu dieser bedingungslosen Klarheit und Konsequenz geführt.

Nach 1979 blieb er fest entschlossen bei „seinem“ Schwarz, in jüngeren Jahren hatte er auch andere Farben, Blau, Rot und Braun, selbst Gelb in seine Palette gemischt oder nutzte dunkle Beizen, um die großformatigen Leinwände zu bearbeiten. Diese Bilder reichen bis in 1940er Jahre zurück.

Nach dem Krieg siedelte Pierre Soulage nach Paris und nahm 1948 an seiner ersten Ausstellung teil, die ihm die ehrenhafte Wertschätzung und Förderung durch Francis Picabia einbrachte. Kontakte zu weiteren französischen Avantgardisten der klassischen Moderne entstanden, zu Hans Hartung, Cesar Domela und Fernand Leger. Wie Serge Poliakoff ist Pierre Soulage einer der bedeutendsten Vertreter der Nouvelle École de Paris und vor allem der informellen Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Oft beschreibt man ihn als Künstler des abstrakten Expressionismus, aber selbst kommentiert er es so:

Ich selbst habe mich nie für einen abstrakten Expressionisten gehalten. Meine Kunst ist weder eine Verlautbarung noch ein Äquivalent für Gefühle und auch kein Träger von Zeichen. Für mich ist das Bild ein Ensemble von Formen, die, aus sich heraus entstehend, nicht vom abstrakten Expressionismus herrühren. (2)

Monumentale Bilder, Trypticha und die nach den strengen Regeln der Benedektiner und denen der romanischen Architektur gefertigten Fenster in der Klosterkirche Ste-Foy in Conques ehren neben vielen Ausstellungen, Preisen und einem eigens für ihn eingerichteten Museum in seiner Geburtsstadt Rodez das fulminante Lebenswerk von Pierre Soulage.
Er steht noch immer in Sete und Paris vor der Leinwand.

Literatur:
1 Nungesser, Michael, KUNSTFORUM international, Bd. 205, „Schwarzmalerei retrospektiv“
2 Jocks, Hein-Norbert, KUNSTFORUM international, Bd. 267, „Wunschlos verliebt in Schwarz“

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