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Paul Gaugin. Why are you angry?

Eine Ausstellung zu Paul Gaugin (1848 – 1903) in der Alten Nationalgalerie der staatlichen Museen zu Berlin!

Toll, aber was soll diese Frage, „warum bist du wütend“? 

Paul Gaugin besetzt einen hervorragenden Platz in der europäischen Kunstgeschichte. Er gehörte neben Paul Cezanne (1839 – 1906), Vincent van Gogh (1854 – 1890), Edvard Munch (1863 – 1944) und Auguste Rodin (1840 – 1917) zu den Wegbereitern der Moderne am Ende des 19. Jahrhunderts, schuf mit seinem Bild „Der Verlust der Jungfräulichkeit oder Das Wiederaufleben des Frühlings“ von 1891 eines der Schlüsselbilder des Symbolismus. 

Paul Gauguin (1848-1903),
APATARAO (Tahitianische Landschaft/ Tahitian Landscape),
1891–1895, Ny Carlsberg Glyptotek,
Kopenhagen© Ny Carlsberg Glyptotek

Aber dann las ich in der Ausstellung das Gedicht der neuseeländischen Dichterin Selina  Tusitala Marsh „ Guys like Gaugin“:

„Typen wie Gaugin
 - danke, Bougainville - 
dafür, dass du sie dir jung gewünscht hast
 - damit Typen wie Gaugin träumen - 
und träumen konnten - 
der dann seinen syphilitischen Körper - 
stromabwärts in die Tropen bewegte
 - um seine künstlerische Hypothese zu´prüfen - 
ob die Unzivilisierten 
- wirklich reifen wie Papayas - 
zu genießen am besten noch ein wenig grün 
- und köstlich bissfest - 
wie goldene präpubertäre Knospen herabhängend - 
Nymphomanie aussäend 
- für Typen wie Gaugin! danke, Balbao
 - dafür, dass du den Isthmus 
- von Panama 
- überquert hast - 
im Jahr 1513 
- und unseren Ozean 
- Südsee tauftest - 
hey, danke, Vasco
 - dafür, dass du uns 
- zu deinem Unterleib erklärt hast - 
das okzidentale Gegenteil von allem - 
in deine Alpträume
 - in deine Wachträume
 - die Umkehrung all deiner Gesetze 
- in deine dunkelsten Fantasien
 - danke dafür, dass du die Erde als Körper ansahst
 - der Norden, ihr Kopf 
- voller Rationalität
 - vernünftiger Jahreszeiten 
- voller Bedeutung
 - kultivierter Gärten 
- voller Bewußtsein
ausgesät auf männliche 
- wohlbeordnete Weise
 - eine große Entwicklung 
- dem Licht entgegen
 - danke dafür, dass du den Süden - 
zu einer erogenen Zone gemacht hast
 - fleischlich und sexuell 
- gefühlsgeladen und ursprünglich - 
wartend im Schatten 
- dunkler weiblicher Instinkte
 - bevölkert von Afrika 
- dem Orient, Amerika - 
und jetzt von uns. “
von Selina Tusitala Marsh (Katalog zur Ausstellung „Paul Gaugin. Why are you angry“ S.149)

Rosalind Nashashibi/ Lucy Skaer:
Why Are You Angry?, 2017
Filmstill, 16mm Film, Schwarz-Weiss, Farbe, Stereo.
18 Minuten
Mit freundlicher Genehmigung von
Nashashibi/Skaer and GRIMM, Amsterdam | New York

… und bin betroffen.

Sie waren es, die Seefahrer und Abenteurer des 18. Jahrhunderts, die das Leben auf den Inseln im pazifischen Ozean, allen voran Tahitis, mit allen Eigenschaften eines paradiesischen, sexuell freizügigen Lebens, befreit von jeglichen  Pflichten in ihren Logbüchern, Romanen und Erzählungen beschrieben hatten. 

Arthur Baessler (1857-1907),
Tautira, 1896-1898 Fotografie
© bpk / Ethnologisches Museum,
Staatliche Museen zu Berlin / Annette Hlawa 

Sie prägten in ihrer französischen und englischen Heimat das Bild einer sorgenfreien göttlichen Welt. 

Befeuert wurde diese Kunde auf der Pariser Weltausstellung 1889. Ihr viel besuchter „pavillon des colonies“ pries die französische Kolonie in der Südsee in allen Farben an. Auch Paul Gaugin besichtigte den Pavillon. Mehrfach suchte er diese Ausstellung auf, zunehmend in dem Glauben, dort so leben zu können, wie er es sich ersehnte, als Einheimischer, als Wilder … . Seine Sehnsucht, nach dem Ursprünglichen in der Kunst und dem Wunsch „der verfaulten Zivilisation etwas Natürlicheres gegenüberzustellen“, beförderten diesen Traum. 

Paul Gauguin (1848-1903),
Vase in Gestalt einer Frau mit Schlangengürtel, 1887-1888,
Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen
© Ny Carlsberg Glyptotek 

Dabei lagen schon ruhelose Jahre als Matrose, Börsenhändler schließlich als freischaffender Maler hinter ihm. Er hatte die Dänin Mette-Sophie Gad geheiratet, aber nach Jahren sie und die gemeinsamen 5 Kinder verlassen. Nach einer impressionistisch geprägten, aber wenig erfolgreichen Phase, hatte er neue Inspirationen auf der karibischen Insel Martinique und in Panama gesucht. Zurück, entwickelte er in dem bretonische Hafenstädtchens Pont-Aven gemeinsam mit einer  Künstlergruppe den Synthetismus und Cloisonnismus.

1891 war es soweit, seine Vision von einem Atelier in den Tropen, sollte wahr werden. Ausgestattet mit einem Reisestipendium des französischen Bildungs- und Kunstministeriums startete er auf große Fahrt nach Tahiti. Mit dem selbst erteilten dokumentarischen Auftrag „in künstlerischer Hinsicht die Gebräuche und Landschaften dieses Landes und die zu malenden Bilder zu studieren“ war er der amtlich beglaubigte Abgesandte Frankreichs. 

Schon damit unterlief er seine ursprüngliche Intention, der „verfaulten Zivilisation“ zu entfliehen. War er doch als „Offizieller“ in jeder Hinsicht, auch vor Ort, privilegiert. 

Und die Enttäuschung war groß:

„„Das Leben in Papeete wurde mir sehr schnell zur Last. Dies war ja Europa - das Europa, von dem ich mich befreit zu haben glaubte -, nur noch vergröbert durch die Spielarten des kolonialen Snobismus und eine kindliche, bis zur Karikatur groteske Nachahmerei. Das war es nicht, was ich gesucht hatte.“ “
Paul Gaugin „Noa Noa“, Henschelverlag Berlin, 1967, S.7

Paul Gauguin (1848-1903),
Tahitianische Landschaft mit vier Figuren /
Landscape from Tahiti with Four Figures, 1892,
Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen
© Ny Carlsberg Glyptotek 

Das was er in Europa über diese Welt erfahren hatte, war nur noch ein vager Mythos. Er schuf für sich selbst und für seine künstlerische Arbeit eine Traumwelt, die es so nicht mehr gab.  Das tat er in ganzer Konsequenz, „er lebte seine Kunst und inszenierte sein Leben als Kunst.“

„„Ich wusste wohl, dass ihre sehr eigennützige Liebe in streng europäischen Gemütern kaum schwerer gewogen hätte als die käufliche Gefälligkeit eines Straßenmädchens. Aber ich unterschied hier etwas anderes. Diese Augen und dieser Mund konnten nicht lügen. Diesen Frauen von Tahiti liegt allen die Liebe so sehr im Blut, ist so sehr ein Teil ihres Wesens, daß sie, eigennützig oder uneigennützig, immer Liebe ist.“ “
Paul Gaugin „Noa Noa“, Henschelverlag Berlin, 1967, S.13

Paul Gauguin (1848-1903),
Vahine no te Tiare (Frau mit Blume / The Woman with the Flower), 1891,
Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen © Ny Carlsberg Glyptotek 

(ein Schlüsselbild der Ausstellung, das erste von Gaugin nach Frankreich geschickte Bild, ausgestellt als die „typische Tahitianerin“)

Er suchte das Paradies, aber lebte in einer kolonialen Welt, die er zu nutzen wusste, einschließlich der verderblichen sexuellen Beziehungen zu unreifen Mädchen oder der staatlich bezahlten Rückreise.

Paul Gauguin (1848-1903),
Tahitianische Frauen, 1891,
Musée d’Orsay, Schenkung der Comtesse Vitali
in Gedenken an ihren Bruder, den Vicomte Guy de Cholet, 1923
© RMN-Grand Palais (Musée d’Orsay),
Foto: Patrice Schmidt | Bridgeman 

Paul Gauguin (1848-1903),
Parau Api. Gibt ́s was Neues?, 1892,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister
© Albertinum | GNM, Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut 

Er beschrieb („Noa Noa“) und malte eine Welt nach seinen Vorstellungen. Es entstanden Szenen, Landschaften, Porträts, Gruppenbilder in größter künstlerischer Perfektion. Jedes Bild in wilder Farbigkeit begeistert uns bis heute, nur wissen wir nicht , was war Fiktion, was ist wahr in den Gesichtern der Porträtierten, an den bunten Gewändern der Mädchen und Frauen und den idealen Landschaften?  Was war echt? Verzauberte er mit seinen Bildern und Worten nicht die Realität und suchte „sein“ Paradies?

Paul Gauguin (1848-1903),
Arearea no Varua Ino (Die Vergnügungen des Bösen Geistes /
The Amusement of the Evil Spirit), 1894,
Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen
© Ny Carlsberg Glyptotek 

Und jetzt, 130 Jahre danach, fragen wir uns mit Recht, können wir die Kunst vom Leben trennen, müssen wir es uns gefallen lassen, dass uns die heutigen Südseeinsulaner mahnen, neben der europäischen auch die lokale Sicht zu sehen? Wir sagen „Ja“. 

Rosalind Nashashibi (1973-) und Lucy Skaer (1975-),
Why are you angry?, 2017, Video-Still
© Courtesy of Nashashibi/Skaer and Grimm Gallery 

Die Alte Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin stellt sich mit der Ausstellung „Paul Gaugin. Why are you angry?“ diesen Fragen. Anhand der präsentierten Gemälde, der Skulpturen, Skizzen und Drucke Paul Gaugins, die er in den Jahren 1891 – 1893 und 1895 – 1901 schuf, anhand vieler zeitgenössischer Dokumente, vor allem aber anhand künstlerischer Arbeiten polynesischer und tahitischer Künstlerinnen und Künstler will die Ausstellung zu einer regen Diskussion über das Verhältnis zwischen Kunst, Künstler und Leben anregen.

Diese sehr begrüßenswerte Absicht, den Wert eines Kunstwerkes einerseits wissenschaftlich und kunsthistorisch zu würdigen, andererseits den Backround eines Werkes in zeitgeschichtlicher, gesellschaftlicher, politischer und menschlicher Sicht zu erweitern, wird wohl zu den kunstgeschichtlichen Aufgaben der Zukunft gehören. 

Eine Reihe von Veranstaltungen geben Gelegenheit, über diese Ausstellung und die mit ihr aufgeworfenen Fragen zu diskutieren.

unter  www.gaugininberlin.de oder www.smb.museum/ang

Paul Gaugin. Why are you angry!
26. März 2022 bis 10.Juli 2022

Alte Nationalgalerie
Staatliche Museen zu Berlin
Museumsinsel Berlin
Bodestraße 1-3
10178 Berlin

Öffnungszeiten
Di – So: 10 – 18:00 Uhr
Mo geschlossen