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Oskar Zwintscher in Dresden – „Weltflucht und Moderne“

Ausstellungsansicht „Weltflucht und Moderne“. Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900″
© SKD, Foto: David Pinzer

Betrachtet man Oskar Zwintschers 1893 gemaltes Bild „Im Garten des Burgkellers“ und sein “Bildnis einer Dame mit Zigarette“ von 1904, so könnte man an 2 unterschiedliche Schöpfer dieser Werke denken. Oskar Zwintscher (1870 – 1916) schuf sein Werk in einer äusserst turbulenten kunsthistorischen Zeit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

In Frankreich hatte sich das Interesse für den bis dahin dominierenden Impressionismus gelegt, die Pointilisten tupften ihre Farben in zauberhafte Motive, junge rebellierende Künstler um Paul Gauguin (1848 – 1903) mauserten sich zu Propheten (Nabis), um ihre avantgardistischen Ideen zu verwirklichen. Paul Gauguin war es auch, der mit seinem Gemälde „Der Verlust der Jungfräulichkeit oder das Wiederaufleben des Frühlings“ (1891) die ersten symbolistischen Akzente setzte und zeitgleich pochten die Jünger des Jugendstils auf die Wirksamkeit ihrer Ideen. Gewaltig rang Paul Cezanne (1839 – 1906  ) mit den architektonischen Gesetzen und der Rolle der Farben in der Kunst, er gab damit den väterlichen Ideenanstoss für Fauvisten wie Kubisten. 

Und dazwischen, zwischen all diesen kämpferischen Strömungen der Sachse Oskar Zwintscher, offiziell der Dresdner Kunstakademie verpflichtet, kolorierte er seine Leinwände in einer faszinierenden, breit gefächerten wie modernen Weise. 

Oskar Zwintscher, Selbstbildnis mit Tod, 1897
Öl auf Leinwand, 100,8 × 80,8 cm, Kunstsammlungen Chemnitz
© Kunstsammlungen Chemnitz, Foto: Jürgen Seidel

 

Nur wir hatten ihn fast vergessen!

Das ist jetzt vorbei! Dank einer komfortablen Ausstattung der Dresdner Kunstsammlungen mit seinen Werken, dank einer umfassenden kunsthistorischen Aufarbeitung und maltechnischen Analyse am Dresdner Albertinum seines künstlerischen Erbes können wir jetzt sein Schaffen bewundern.

Schon mit 17 Jahren begann die künstlerische Ausbildung des jungen Oskar Zwintschers, zunächst in seiner Geburtsstadt an der Leipziger Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe, und ab 1890 für 3 Jahre an der Königlich Sächsischen Akademie der Bildenden Künste zu Dresden. Ein privates dreijähriges Stipendium für Sächsische Maler lockte ihn nach Meißen Hier verbrachte er für sein malerisches Empfinden, seine Malweise und Ausdrucksformen prägende Jahre. Auch privat! Zeigt er sich doch Im Garten des Burgkellers“ (1893) bei einem seiner Rendezvous’ mit der schönen Adele aus Meißen, 1898 gaben sie sich das Jawort. 1904 war es soweit, sein Bekanntheitsgrad war durch die Beteiligung an zahlreichen Ausstellungen immens gewachsen, sein malerisches Werk stilprägend für die bildende Kunst in Sachsen um 1900: er wurde zum Professor an der Dresdner Kunstakademie ernannt. Gemeinsam ließen sich Frau und Herr Professor Zwintscher in Dresden nieder. 

Die Meißner Jahre waren lernende Jahre. Stark beeinflusst vom Jugendstil schuf er einzigartige Motive der Meißner Altstadt. Auch heute wird jeder Besucher, auf die Stadt herabblickend, Zwintschers rote, ineinander verflochtene Dächer suchen. Pedantisch formte er in jedem Stein, jedem Dachziegel, jeder Mauer die Schärfe des Details, beglückend in der Wahl seiner Farben.  Mit geometrisch konsequent in die Tiefe zulaufenden Linien  schaut man perspektivisch über das Land. In gleicher Weise läßt Oskar Zwintscher den Blick des Betrachters auf die Jugendstil-Bilder „Frühling“ von 1895 und „O Wandern, o Wandern“ von 1903 weit in die Ferne schauen, bei Schärfe und Klarheit im kleinsten Detail.

Oskar Zwintscher, O Wandern, o Wandern!, 1903
Öl auf Leinwand, 100 x 120 cm, Albertinum
© SKD, Foto: SKD, Elke Estel / Hans-Peter Klut

Aber auch schon in diesen Jahren sympathisierte Oskar Zwintscher mit Werken, die seinem zurückhaltenden, eher melancholisch gefärbten Wesen entsprachen.
Später erinnerte sich ein Zeitgenosse ob Zwintschers Wirken in Meißen: 

„Noch sehe ich seine schlanke Gestalt mit dem feinen Kopfe und den großen sinnenden Augen durch die Gassen der Stadt und über die sonnigen Hügel der Umgebung schreiten, immer ernst und feierlich, schwer nahbar, ewige Sehnsucht im Herzen, auch nach Menschen - aber wir wussten es nicht und blieben ihm fern. “
Dresdner Neueste Nachrichten vom 07.10.2020

So war seine Empfänglichkeit für die Kunst von Arnold Bocklin (1827-1901) oder Ferdinand Hodler (1853-1918), die ihre Motive in rätslhaft-fantastischen Darstellungen verarbeiteten, nur zu verständlich. Er setzte sie auf seine Weise symbolhaft um. Mit den Bildern „Gram“ von 1898, „Melodie“ von 1903, „Knabe und Lilie“ von 1904, oder „Schmuck und Lied“ von 1910 kann man die symbolische Deutung seiner dunklen Seelenzustände verfolgen. Auch in seinen Porträts, vor allem in seinen Frauenbildnissen, widerspiegeln die Augen die auf ihm lastende Gedankenschwere durch Traurigkeit und Schwermut. 

Im Katalog  von GRISEBACH zum „Bildnis mit Narzissen“ von 1907 wird diese Stimmung treffend beschrieben:

„Es sind ganz besondere Menschenbilder, die in den Jahren um 1905 in Dresden entstehen, in ihrem Realismus der Neuen Sachlichkeit vorgreifend und zugleich eine mediterrane Schwüle ausstrahlend, als hätte sie die abfallenden warmen Winde von den Weinhängen am Elbufer in die Malerei überführt.  “
https://grisebach.auction.fr/_en/lot/oskar-zwintscher-leipzig-1870-1916-dresden-loschwitz-bildnis-mit-6940789#.YqXwv-xBzrC

Oskar Zwintscher, Gram, 1898
Öl auf Leinwand, 150,5 x 150,2 cm, Städtische Galerie Dresden
© Museen der Stadt Dresden, Foto: Franz Zadniček

 Für Oskar Zwintscher war die Darstellung der Frau, meist seiner eigenen, ein häufiges Motiv. Zwischen 1894 und 1916 verewigte der Maler seine Frau in 15 Gemälden. Von außergewöhnlichen Schönheit, groß, in schmaler und feingliedriger Statur war diese feenhafte Erscheinung Frau, Geliebte, Muse und Modell in all den kurzen Jahren bis 1916, als er viel zu früh an einer Lungenentzündung starb.

Stellvertretend sei seinBildnis der Gattin des Künstlers“ aus dem Jahr 1902 genannt, in dem sie stolz, elegant und würdevoll mit geradem Blick auf den Betrachter schaut. 

 

Oskar Zwintscher, Bildnis der Gattin des Künstlers, 1902
Öl auf Leinwand, 200 x 100 cm, Albertinum
© SKD, Foto: Hans-Peter Klut

Weitere weibliche Models waren häufig Studentinnen aus seinen Seminaren. 

Die Porträts Zwintschers , sei es das von seinem Bruder (1898), des Schriftstellers Ottomar Enking (1911), das Bildnis einer Dame mit Zigarette“ (1904) oder das „Bildnis der Adele Zwintscher im Hamsterpelz“ von 1914 nehmen einen ganz besonderen Platz in seinem Schaffen ein. In ihrem nahezu fotografischen Realismus weisen sie allen voran auf die aufkommende Neue Sachlichkeit hin. Die Dame mit Zigarette verkörpert mit ihrer lässig gehaltenen Zigarette den modernen Frauentyp um 1900. Selbstbestimmt und weltoffen begrüßt sie die aufkommenden Reformbewegungen. Ein mutiges Bild!

Oskar Zwintscher, Bildnis einer Dame mit Zigarette, 1904
Öl auf Leinwand, 82 x 68 cm, Albertinum
© SKD, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut

Mit dem „Bildnis der Adele Zwintscher im Hamsterpelzverbinden sich zwei Aussagen: 

„… ist das in Brauntönen gehaltene Gemälde ein Meisterwerk malerischer Finesse – und in seiner melancholischen Grundstimmung zugleich ein bemerkenswertes Zeitdokument einer zugrunde gehenden Epoche: Im Entstehungsjahr des Bildes brach der Erste Weltkrieg aus. “
https://www.skd.museum/presse/2020/adele-im-hamsterpelz-kommt-zu-oskar-zwintschers-150-geburtstag-ins-albertinum/

Und: das Bild gehört dem amerikanischen Sammler Jack Daulten, der es großzügig anläßlich der 150. Geburtstages von Oskar Zwintscher den Kunstsammlungen Dresden als Leihgabe zur Verfügung stellte. 

Das Spektrum Zwintschers OEuvre spannte sich vom Realismus, Jugendstil, vom Symbolismus bis zu ersten Elementen der Neuen Sachlichkeit. Der Impressonismus galt für ihn überwunden, er lehnte ihn ab. Das gab natürlich Kritik in der Szene. Lesen wir dazu eine eher gemäßigte Stimme, den Kunstkritiker Franz Servaes (1862-1947) :

„Wenn ich also den Impressionismus einem Zwintscher gegenüber verteidige, so nicht minder einen Zwintscher gegenüber meinen Freunden von der impressionistischen Observanz. ... Dem Fanatismus jener Orthodoxen müssten wir ja auch einen Böcklin und Thoma und neuerdings wohl selbst einen Klinger opfern. ... und halten uns ... an das schöne Jesuswort - „In meinem Vaters Hause sind viele Wohnungen! -“. “
Kunst Malerei Dresden Stellwerck Jugendstil der Maler Oskar Zwintscher 1913

Oskar Zwintscher, Bildnis der Frau des Künstlers, 1901
Malpappe, 43,1 cm x 43,2 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München,
© Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München

Wieder ist es den Kunstsammlungen Dresden gelungen, einen weithin vielbeachteten kunsthistorischen Akzent zu setzen. Konnten sie mit Lorenzo Berninis marmornen Totenkopf die Kunstwelt überraschen, brillieren sie zur Zeit mit vielen eigenen Bildern mit einer nie dagewesenen Bernardo Bellotto-Schau, so ist die wichtige Aufarbeitung und Präsentation des Lebenswerkes Oskar Zwintschers schon fast keine Sensation mehr. 

Weltflucht und Moderne. Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900“ 

Albertinum 
14.05.2022—15.01.2023

Öffnungszeiten
täglich 10—18 Uhr, Montag geschlossen