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„La Chine. Die China-Sammlung des 18. Jahrhunderts im Dresdner Kupferstich-Kabinett“

Unbekannt, Chinesisch, Eine Zeichnerin unter einem Baum, Suzhou, um 1650–80
Farbholzschnitt, teils handkoloriert, aus einem aufgelösten Klebeband
© Kupferstich-Kabinett, SKD, Foto: Andreas Diesend

Das Verhältnis zwischen Deutschland, Europa und China ist schwierig geworden. Allein die Themen in der ARD-Tagesschau zu diesem Thema im letzten Vierteljahr (September-November 2021) beleuchten unseren kritischen Blick auf die Entwicklung in diesem asiatischen Land, einige Beispiele:

06.09.2021 „Erstmals belegen Dokumente, wie China versucht, die Meinung im Netz zu beeinflussen.“
15.09.2021 „Weitere Demokratie-Aktivisten verurteilt“ (in Hongkong).
23.09.2021 „Viel Wachstum, wenig Offenheit“
03.10.2021 „Erneut haben chinesische Kampfjets für Aufregung in Taiwan gesorgt.“
11.10.2021 „Chinas Staats- und Parteiführung schränkt die Pressefreiheit im Lande weiter ein.“
12.10.2021 „Weil sie an das Tiananmen-Massker erinnert, soll eine Skulptur vom Campus der Universität Hongkong entfernt werden. Oppositionelle sorgen sich um die Kunstfreiheit.“
22.10.2021 „Die UN haben erneut massive Verstöße Chinas gegen die Menschenrechte angeprangert“ (Uiguren).

Die Beziehungen zwischen der EU und und China sind angespannt. Das auf Ratifizierung durch die EU wartende Investitionsschutzabkommen vom Dezember 2020 oder die Sanktionen, gegen Politiker und Organisationen von beiden Seiten verhängt,  sprechen dafür. 

China– das Riesenland mit 1 411 780 000 (2020) Einwohnern, einer boomenden Wirtschaft, einer atemberaubenden Modernisierung des Landes, versucht die westliche Welt im Wettstreit um das effizientere System zu provozieren. Aber Diktatur statt Demokratie und Menschenrechtsverletzungen in China lassen die Kluft zwischen beiden Systemen unabhängig von diesen Erfolgsmeldungen der Volksrepublik größer werden. 

Ein Blick in die Vergangenheit lohnt, wie anders Menschen vor Jahrhunderten über dieses Verhältnis dachten. Im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert boomte in Europa regelrecht ein „Chinageschmack“. Beginnend im 16. Jahrhundert hatten zwei große Ereignisse für die Annäherung zwischen Europa und China gesorgt. Zum einen hatte Vasco da Gama (1469 – 1524) 1498 den Seeweg nach Indien entdeckt, zum anderen verbreiteten Missionare der Jesuiten den christlichen Glauben in China. Während sie neben ihrer Religion, Kenntnisse in Tiefdrucktechniken (Radierung, Kupferstich) vermittelten, mußten sie erkennen, dass ein atheistisches Land auch ohne dem christlichen Erlösungswerk eine ernstzunehmende Alternative des Lebens ist. Gleichzeitig ließen sich aber viele Chinesen, vor allem auch Künstler, zum christlichen Glauben missionieren. Auf vier in der Ausstellung ausgestellten Blättern, betitelt mit „Damen in einem Palastgarten“, erkennt man den versteckten Hinweis des Künstlers Lu An auf seine Konversion zum Katholizismus. Einen der Drucke signierte er mit den lateinischen Buchstaben „tim Paulo“, Paulo war sein christlicher Taufnamen. 

Ding Yuntai, Werkstatt Ding Lai Xuan, Suzhou
Damen in einem Palastgarten
Suzhou, um 1700, Qing-Dynastie, Ära Kangxi

4 Holzschnitte, gedruckt von drei Stöcken
in Schwarz und zwei Grautönen, vormals
eingebunden in Ca 130, 1989 einzeln aufgelegt,
Copyright Kupferstichkabinett, SKD
Foto: Michael Neubauer

Schnell wurden die Seewege sicherer, gründeten sich Schifffahrtsgesellschaften, die bisher unbekannte Waren, Gewürze, Gebrauchsgegenstände, Kunstartikel nach Europa brachten, und die gefielen, vor allem am Hof Ludwig des XIV. Das Exotische, Phantastische und Fremde reizte ohnehin.

Der 30 jährige Krieg ließ ein zerrüttetes Europa zurück, Humanismus und Reformation hatten die Einheitlichkeit des abendländischen Weltbildes gesprengt – man sehnte sich nach einer „heilen“ Welt und glaubte irrtümlicherweise diese hinter den phantastischen Motiven chinesischer Malerei auf Porzellan, Textilien, Tapeten, Glas, Möbeln und eben auch Papiergrafiken zu finden. Die China-Begeisterung in all ihren Facetten fußte, zumindest in ihren Anfängen, auf diesem ernsthaftem Suchen nach einem neuen, besseren Weltbild. 

Johann Christoph Weigel, Ausschneidebögen mit exotischen Vögeln, um 1710-25
Band mit 32 teils handkolorierten Kupferstichen in 4 Folgen, 184 × 300 × 10 mm (Band)
© Kupferstich-Kabinett, SKD, Foto: Andreas Diesend

Angeregt und inspiriert schufen europäische Künstler, Kunsthandwerker und Architekten Gemälde, Grafiken, Glasuren auf Zinn und Blei, Innendekorationen, Möbel, Gärten und Häuser im chinesischen Stil. Das erste Chinoiserie-Gebäude lies Ludwig XIV. (1638 – 1715) im Park des Schlosses von Versailles als „Schloss Porcelain Trianon“ erbauen, an seiner Stelle befindet sich heute das Lustschloss „Grand Trianon“. Weitere Beispiele sind das 1720 unter August dem Starken (1670 – 1733) begonnene „Schloß Pillnitz“ bei Dresden, das Chinesische Teehaus im Potsdamer „Schloss Sanssouci“ oder der Chinesische Pavillon und das Schlosstheater im schwedischen „Schloß Drottningholm“. Bebilderte Reisebeschreibungen und im Fernen Osten spielende Romane („Die Räuber vom Liangshan-Moor“ – in der Ausstellung) befeuerten das gegenseitige Kennenlernen. Um 1800 nahm das Interesse an chinesischer Kunst stark ab und erlosch im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts. 

Die Chinamode erreichte natürlich auch am sächsischen Hof einen Höhepunkt. August der Starke war der bedeutendste Porzellansammler seiner Zeit, wobei sein Augenmerk auf chinesisches und japanisches (Japanisches Palais) ein besonderes war, später durch „sein“ Meissner ergänzt.
Sächsische Fürstinnen residierten in Kabinetten in asiatischem Stil und erfreuten sich an chinesischem Porzellan und Lackwaren. „Chinoiserien“ umfassten im damaligen Denken den gesamten asiatischen Raum. So beinhaltet die Sammlung August des Starken auch Blätter, die den Begräbniszug eines thailändischen Herrschers darstellt, einmal als Zeugnis einer allerersten thailändischen Zeichnung und zum anderen in einer bunten Aufarbeitung in späteren Jahren. 

Ab 1720 beauftragte August der Starke seinen Gelehrten und Leibarzt Johann Heinrich von Heucher  (1677 – 1746)  mit der Neuordnung des Kupferstichkabinetts, das er aus der Kunstkammer herausgelöst hatte. Heucher ordnete 1738 die umfangreiche grafische Sammlung in 22 Schränken nach Schulen, Sujets, Technikern, Künstlern und Themen. Der letzte, Schrank 22, enthielt „La Chine“, Grafiken aus dem gesamten asiatischen Raum („La Chine“) und chinoise Grafiken deutscher und niederländischer Künstler (La Chine Europeenne“). 

Insgesamt befinden sich in der Sammlung mehr als 2000 Einzelwerke, darunter 1100 chinesische und 850 chinoise Grafiken. Neben Gebrauchsgrafiken, oft in vielen Exemplaren eines Motivs, sind Szenen aus dem chinesischen Alltagsleben dargestellt: bei Hofe, vor Gericht, auf der Straße, die Tätigkeiten von Mönchen, Ärzten, Soldaten, Hofdamen, spielenden Kindern oder Festen (C. Bischoff, Jahrbuch der SKD (2010) Beiträge). Die Motive wurden mit kleineren und größeren Veränderungen immer wieder verwendet und weitergereicht. Insgesamt sind nur 40-50 Motive bekannt. Verwendung fanden diese populären Gebrauchsgrafiken als Glückwunschblätter oder als Grußbotschaft für ein neu anbrechendes Jahr. Nach einem Jahr wurden sie wieder erneuert.

Unbekannt, Chinesisch, Rollbild mit zahlreichen Szenen des Volkslebens, 18. Jh.
Wasserfarben auf Seide, chinesisches Rollbild auf durchgehend textilem Träger,
an beiden Seiten Deckblätter montiert, kompl. Bild: 316 x 6230 mm
© Kupferstich-Kabinett, SKD, Foto: Herbert Boswank

Die Dresdner Sammlung chinoiser Grafiken zeigt auch eine Reihe von Musterblättern, die als Vorlage für die Porzellanmalerei dienten. In vielem gehen sie zurück auf den deutsch/holländischen Kupferstecher und Kartografen Pieter Schenk (1660 – 1711) oder den Nürnberger Kupferstecher und Kunsthändler Johann Christoph Weigel (1654 – 1725). 

 

Vase aus einer Meissner Garnitur, Meissen, um 1735-40
Porzellan mit Aufglasurfarben und Gold
© Porzellansammlung, SKD, Foto: Adrian Sauer

Besonders stolz ist man in Dresden auf ein sogenanntes „Freundschaftsalbum“, von denen es weltweit nur noch 15 gibt, das Dresdner ist besonders gut als Beleg für die Hochkunst chinesischer Künstler erhalten. Feinste Kalligrafie, sicher schon selbst ein Gemälde für sich, wird auf der Gegenseite durch einen gestickten chinesischen Landschaftsgarten bildlich ergänzt. 

Die Ausstellung „La Chine. Die China-Sammlung des 18. Jahrhunderts im Dresdner Kupferstich-Kabinett“ zeigt 100 dieser asiatischen Exponate, darunter eine 8 Meter lange, chinesische Bildrolle mit 80 Szenen aus „Räuber vom Liangshan-Moor“ nach dem gleichnamigen Roman. In einer bemerkenswerten medialen Aufarbeitung kann man diese Bildrolle Schritt für Schritt scrollen und sich zu jedem Motiv schriftliche Erklärungen geben lassen. Toll! Weitere Exponate weisen den Einfluß chinoiser Motive auf das Wirken europäischer Künstler hin, die sie in Raumausstattungen, Möbelverzierungen oder in der Lack- oder Porzellanmalerei anwandten oder bis heute anwenden, wie die Hallenser Künstlerin Ines Beyer (*1968 in Halle/Saale) in der Ausstellung zeigt. 

Matteo Ripa nach Yu Shen, Wolken- und Gebirgslandschaften, 1714
Ansicht 8 aus den 36 Ansichten des Kaiserlichen Sommerpalastes zu Jehol, Radierung und Kupferstich, Peking
© Kupferstich-Kabinett, SKD, Foto: Herbert Boswank

Ausgehend von visuellen Übersetzungen eines vom chinesischen Kangxi-Kaiser im 18. Jahrhundert verfassten Zyklus mit 36 Poeme durch Radierungen und Kupferstiche unter anderem durch den päpstlichen Gesandten und Missionar Matteo Ripa übersetzte die junge Künstlerin das gegenständliche Bild durch Definition von 8 Farbstufen in eine lineare Folge von Zahlenreihen. Diese waren die Grundlage für eine farblich abgestimmte Kreuzstichstickerei auf einer mit einem Raster bedruckten Stoffbahn. Ein neu entstandenes,  abstraktes Bild vermittelt die in den Gedichten und Bildern erzeugte Stimmung auf eine andere, eine sehr moderne Art, deren Übersetzung für jeden Betrachter sicher eine sehr individuelle sein wird. „Transformation“ von Ines Beyer!

Die Präsentation „La Chine“ im Dresdner Kupferstichkabinett wurde als Folge eines dreieinhalbjährigen wissenschaftlichen Forschungsprojektes „Frühe Asiatica und Chinoiserien am sächsischen Hof“ an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden möglich. 

Die Rückbesinnung auf eine 300 Jahre alte Kunst, die Asiaten und Europäer auf eine ungewöhnlich intensive Weise miteinander verband, ruft beim Ausstellungsrundgang auch Assoziationen zur gegenwärtigen Situation hervor.
China und Europa – ein Verhältnis wechselnder Gefühle!

Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Kupferstichkabinett im Residenzschloss
Taschenberg 2, 01067 Dresden

„La Chine. Die China-Sammlung des 18. Jahrhunderts im Dresdner Kupferstich-Kabinett“

19. November 2021 bis 13. Februar 2022

Öffnungszeiten

täglich 10 bis 17 Uhr, Dienstag geschlossen

Ticketpreise
regulär 6 €, ermäßigt 4,50 €, Gruppen ab 10 Pers. 5,50 €/Pers.
Eine Publikation zur Ausstellung aus dem Sandstein-Verlag, Dresden, für 38,-€ liegt vor.