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Hanna Nagel. Wiederentdeckung einer Pionierin feministischer Kunst

Hanna Nagel,
Die Ehe, 1930,
Privatsammlung

Wer war die Malerin und Graphikerin Hanna Nagel (1907-1975)?

Einzelausstellungen zu ihrem Werk finden sich nach dem 2. Weltkrieg ganze zwei: Anläßlich ihres 100. Todestages wurden ihre frühen Arbeiten von 1926 bis 1933 in der „Städtischen Galerie Karlsruhe“ gezeigt. 2011 widmete sich das Frankfurter „Kunstkabinett von Hanna Bekker vom Rath“ ihrem Schaffen. In Gemeinschaftsausstellungen waren Bilder von Hanna Nagel 2013 in Neu-Ulm,  in Böblingen und Stuttgart und 2015 auch in Bietigheim-Bissingen zu sehen. 

Es ist wahr und sicher, Hanna Nagels Kunst ist in der Breite nicht bekannt. 

Jetzt schließt sich die „Kunsthalle Mannheim“ unter dem Titel „Wiederentdeckung einer Pionierin feministischer Kunst“ an und fordert das Publikum mit 190 Arbeiten auf, diese brillante Künstlerin nicht zu vergessen. Viele Werke stammen aus privaten Händen, 13 Werke kann das Museum aus eigenem Besitz beisteuern. Eine Aufarbeitung des Gesamtwerkes ist schwierig, weil Verkauf und Schenkung die Bilder weit verstreut haben, andererseits erschwerte die Künstlerin den Kunsthistorikern ihre Arbeit, weil Hanna Nagel die Signatur auf den Bildern zum Teil entfernt oder gar nicht aufgetragen hat. 

Hanna Nagel ist in Heidelberg geboren und gestorben.

Mit 17 Jahren begann sie hier eine Lehre zur Buchbinderin und zeichnete schon zu dieser Zeit und vorher Bilder. 

Es war einfach in ihr angelegt:

„Zeichnen ist meine Leidenschaft, mein Laster, meine Sucht, solange ich lebe. 
“
Hanna Nagel https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/hanna-nagel/

Hanna Nagel,
Paule, 1927,
Privatsammlung 

 

 Schon 1 Jahr später wechselte sie an die „Badische Landeskunstschule Karlsruhe“ und tauchte tief in die südwestdeutsche Neue Sachlichkeit unter Karl Hubbuch (1891-1979), Wilhelm Schnarrenberger (1892-1966) und Hermann Gehri (1879-1944) ein.

Detail aus
Hanna Nagel,
Traum, 1931,
Kunsthalle Mannheim 

Wichtig aber, betrachtet man ihr späteres zeichnerisches und graphisches Werk, war für sie die Zeit bei dem Radierkünstler Walter Conz (1872-1947). Bei ihm erlernte sie die Radiernadel mit fester und doch zarter Hand zu führen.

Aus dieser Zeit stammen Zeichnungen und Radierungen von Porträts und Akten, mit hartem Strich zu scharf abgegrenzten Formen gezogen.

Hanna Nagel,
Ohne Titel (Isai und Kuhn),
1929, Privatsammlung 

Im Rückblick schilderte sie ihre Karlsruher Zeit so:

„Bei Hubbuch wurde ich gehalten, das Einmalige, die ins Groteske grenzende Besonderheit einer Erscheinung in fast karikaturistischer Zuspitzung zu packen.“
aus „Hanna Nagel“, hrsg. Irene Fischer-Nagel, Karlsruhe, Braun, 1977, S.6

Hanna Nagel,
Bei Hubbuch 
(Modellstudie), 1929,
Privatsammlung 

Nicht in der bildlichen Übereinstimmung und wenn, dann nur vereinzelt, sondern in der gefühlsmäßgen Nähe werden im Schrifttum Rembrandt, Goya, Alfred Kubin und vor allem Käthe Kollwitz als mögliche Wegweiser für die Kunst Hanna Nagels genannt. Auch der Hang zum Symbolhaften, Irrationalen findet sich schon in den jungen Jahren.

Sie war gerade 20 Jahre alt, als sie aktiv und bewußt sich und ihre Umgebung zu betrachten begann … und sie in ihrem Sinne kommentierte.

 In ihren Arbeiten thematisierte sie die Stellung der Frau in der Gesellschaft, vor allem das Verhältnis zwischen Mann und Frau. 

 

Hanna Nagel, Das reiche Herz, 1930, Privatsammlung 

1929, sie wechselte mit ihrem späteren Mann, dem Graphiker Hans Fischer (1906-1987), nach Berlin in die Meisterklasse zu Professor Emil Orlik (1870-1932) in die „Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst“ in der Charlottenburger Hardenbergstrasse. 

Der Wechsel nach Berlin setzte eine Zäsur im Schaffen Hanna Nagels. Die Tuschfeder wurde nun ihr bevor­zug­tes künst­le­ri­sches Ausdrucks­mit­tel, inner­halb ­kür­zes­ter Zeit entwi­ckelte sie darin eine meister­haf­te ­Per­fek­tion. Aber nicht nur die Technik wandelte sich auch ihr Stil. Die Härte verlor sich in ihren Bildern, sie wurden weicher, malerischer, traumhafter in ihren Themen. Die Zeit der „Dunklen Blätter“ hatte begonnen. Beginnend 1931, völlig ohne Auftrag, malte, zeichnete und skizzierte sie über Jahre ihre in die Tiefe gehende Gedankenwelt auf diese Blätter. In den Mittelpunkt ihrer Themen rückte vehement und vor allem„das Weibliche“. Sie wollte zeichnen, was noch nie eine Frau gezeichnet hat. Das Traumhafte, Verdeckte motivierte ihr Tun.

„„Ich bin wie die Erde ...ich zeichne ohne Sinn und Verstand, so wie ein Baum wächst und merkt es nicht ... „Ich zeichne vielmehr oft das, wovor ich Angst habe, zum Beispiel Schlangen. Sie sind das Hässlichste überhaupt. Neben dem, was Angst macht, zeichne ich das, was Angst hat, zum Beispiel viele Fische. “
aus „Hanna Nagel“, hrsg. Irene Fischer-Nagel, Karlsruhe, Braun, 1977, S.9/34

Hanna Nagel,
Traum, 1931,
Kunsthalle Mannheim 

Sie stellte sich in unterschiedlichsten Kostümen dar, häufig in Bezug zu einem mythologischen Hintergrund. Aber auch ihr Verhältnis zu ihrem Lehrer Professor Orlik wurde mit unverkennbaren, drastischen Porträts bedacht, sah er doch ihre Heirat mit Hans Fischer sehr kritisch. Das Verhältnis zum anderen Geschlecht nahm breiten Raum ein. Dabei bediente sie sich auffallend oft des Antlitzes ihres Mannes, auch kritisch, vielleicht ihre spätere Trennung vorausahnend? 

Hanna Nagel,
Mühevolle Ehe, 1931,
Privatsammlung 

Dabei spielten Bilder in den frühen 1930iger Jahren mit Fragen zu einem gewünschten Kind eine grosse Rolle, sofort verknüpft mit der Frage, was wird dann aus „Kunst – Kind – Mann“?

Wiederentdeckung einer Pionierin feministischer Kunst“ – Mannheim 2022 – Hanna Nagel!

HannaNagel,
Die Frage:„Kunst–Kind–Mann?“,
1933,Privatsammlung

1933 und 1935/36 arbeitete Hanna Nagel u.a. in der Villa Massimo in Rom. Sie war Preisträgerin des hochdotierten Rompreises geworden. Zu ihren biografischen Gedanken gesellten sich auf den römischen Bildern Kuppeln und Türme, mit Säulen, Toren und Brücken, dabei oft mit nicht einfach deutbaren Symbolen verknüpft. Nach ihrer Rückkehr begann sie Bücher zu illustrieren, Kinderbücher, aber auch Werke Tschechows und Gorkis. Graphische Zyklen folgten zu Chopins Werken, zum Traum, zur Angst. Nach dem Krieg waren Buchillustrationen ihr Hauptwerk, insgesamt illustrierte sie über 100 Bücher. Alleinstehend betreute sie ihre Tochter, die spätere Malerin und Lyrikerin Irene Fischer-Nagel (*1938), zunehmende chronische Schmerzzustände beeinflussten das Schaffen.

„...meinen Blättern soll man ansehen, dass sie von einer Frau herrühren.... Für mich kommt es darauf an die weiblichen Gefühlsnuancen zu zeichnen, auch solches, was vielleicht noch nie eine Frau gezeichnet hat.“ “
aus „Hanna Nagel“, hrsg. Irene Fischer-Nagel, Karlsruhe, Braun, 1977, S.34

Hanna Nagel,
Selbstbildnis, 1929,
Kurpfälzisches Museum Heidelberg 

Kunsthalle Mannheim
Hanna Nagel. Wiederentdeckung einer Pionierin feministischer Kunst“
8.April bis 3. Juli 2022

68 165 Mannheim
Friedrichplatz 4
Tel.: 0621 2936423

Informationen über
kunstvermittlung@kuma.art

Öffnungszeiten
Di,Do,Sa,So 10-18 Uhr
Mi 10-20 Uhr