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George Braque in Düsseldorf Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen – K20 25.09.2021 bis 23.01.2022

Georges Braque. Erfinder des Kubismus, Installationsansicht K20, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 2021,
Foto: Achim Kukulies

Hallt doch in diesen Tagen der Ruf durch’s Land „In Düsseldorf stellt man George Braque aus!“, neben Pablo Picasso der Erfinder des Kubismus.
Kubismus – eine der aufregendsten, modernsten und weitreichendsten Stilrichtungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aber ob die Freunde der Klassischen Moderne aus München, Leipzig oder Hamburg in Scharen nach Düsseldorf pilgern? Ich glaube es eher nicht. 

Wäre es anders, hieße es, Picasso stellt aus? Man muß es annehmen. 

Es ist sehr schade, zumal die Düsseldorfer Kunstsammlungen als Schwerpunkt genau die spannende und ereignisreiche Zeit beleuchten, in der George Braque (1882 – 1963)  vom Fauvismus kommend die ersten Schritte zum Kubismus durchlebte. In nur 8 Jahren von 1906 bis 1914 entwickelte er vor allem mit und neben Pablo Picasso den analytischen, den synthetischen Kubismus und die „papiers colles“ (Klebepapiere).

George Braque hatte Pablo Picasso (1881 – 1973) erstmals im Spätherbst 1907 im Bateau-Lavoir, einem verfallenen Künstlerhaus im Pariser Montmartre in der Rue Ravignan Nr. 13 (heute place Émile-Goudeau no. 13) besucht. Picasso wohnte und malte von 1904 bis 1909 hier in einem angemieteten Atelier. Braque sah das zu diesem Zeitpunkt bereits fertige, in aller Augen revolutionäre Bild Picassos „Les Demoiselles d’Avignon“, das Schlüsselbild der Moderne.  Anders als alles bisherige, aber es hatte noch nicht den vollen kubistischen oder Cezanneschen Einfluss erfahren, noch war es der Versuch zwischen den berühmten Camaieus der „blauen Periode“ und der sogenannten „primitiven“ Kunst. Braque war auf jeden Fall zutiefst beeindruckt, vor allem von dem Mut Picassos, so dass er noch im gleichen Jahr  mit „Kopf einer Frau“ und „Sitzende Frau“ experimentierte. Ende 1908 begann die enge, äußerst intensive  Zusammenarbeit Braques mit Picasso, nicht zuletzt weil ihre Werke bei den damaligen Kunstkritikern auf Unverständnis stießen.

„Als „zwei zusammen angeseilte Bergsteiger“ hat Braque rückblickend die Gemeinschaft gesehen, die im Winter 1908 beginnt und über sechs Jahre dauern wird. Picasso erinnerte sich an allabendlich-wechselseitige Atelierbesuche: „Jeder musste sehen, was der andere tagsüber gemacht hatte.“ Die malerische Vision des Kubismus, heisst es bei Rubin, „hätte keiner allein verwirklichen können“, und beide Künstler lieferten ihre stärksten Beiträge dazu, „als sie einander am nächsten waren.   (William Rubin (1927 - 2006) war ein amerikanischer Kunsthistoriker und Kurator am Museum of Modern Art in New York) “
Kunstforum International, Bd. 107 Künstlerpaare II, Picasso & Braque

Nächtelang diskutierten sie, trafen sich in Cafés oder suchten sich in der sommerlichen Urlaubsfremde, in der südfranzösischen Kleinstadt Ceret und ein Jahr später in Sorgues, … . Es entstanden in dieser Zeit Werke, die sie eine Zeit lang nicht signierten und selbst Fachleuten fällt es schwer, sie sicher einem von beiden zuzuordnen. 

„George Braque: Picasso und ich haben uns in diesen Jahren Sachen gesagt, die sich niemand mehr sagen würde, niemand mehr verstehen würde, Sachen die sich niemand mehr sagen könnte, niemand mehr verstehen würde, (…) Sachen, die unverständlich wären und die uns doch so viel Freude bereitet haben (…) und mit uns verschwinden werden. “
George Braque „Tanz der Formen“, HIRMER-Verlag 2020, S.34

1914 – Erster Weltkrieg, George Braque wurde eingezogen, schwer verletzt und brauchte lange, um zu genesen. Ihre „Seilschaft“ hatte ausgedient. Was blieb, war die Erinnerung an eine große gemeinsame Zeit. 

Kubismus ist nach William Rubin (s.o.) „das größte Abenteuer in der Kunst des 20. Jahrhunderts.“,  und George Braque sein massgeblicher Schöpfer. Und doch ist er im Bewusstsein der Menschen, in der Kritik der Kunsthistoriker (z.B. „Die Welt“  vom 10.10.2013 von Hans Joachim Müller „Was, wenn er Picasso nicht begegnet wäre“) im Vergleich zu Pablo Picasso immer der Unterlegene. Beide unterschieden sich im Temperament, Lebensweise und Arbeitstempo kolossal, Braque war der ruhigere, unauffälligere, in der Öffentlichkeit weniger präsente. Er wurde nicht so wahrgenommen, obwohl, wie es William Rubin anläßlich der Wanderausstellung „Die Geburt des Kubismus“ von 1989/90 zeigen konnte, spielte er die Vorreiterrolle bei der Erfindung des Kubismus:

„Nicht Picasso , sondern Braque malte 1908 im Provence-Dorf L’Estaque - die ersten kubistischen Bilder. Diese Werke meinte der französische Kritiker Louis Vauxcelles, als er den Begriff Kubismus prägte. (…) führte Braque Musikinstrumente in die Ikonografie des Kubismus ein. Sie wurden neben dem von Paul Cézanne abgeleiteten Grundthema „Teller und Obstschale“ zum Leitmotiv der neuen Richtung. (…) Als erster auch integrierte Braque schon 1909, in der analytischen Phase des Kubismus, Buchstaben in ein Stillleben.(…) 1911, als das Sujet (Figur oder Objekt) fast vollends aufgelöst war, erfand Braque in wahrhaft innovativer Weise die Figur im kubistischen Sinn. Im April 1911 baute er dann - mehrere Monate vor Picasso - seine erste Papierkonstruktion. (…) Anfang 1912 übertrug er Buchstaben und Zahlen sowie das Muster einer Holzmaserung auf die Leinwand. (…) im Mai 1912 baute Picasso die Erfindung ironisch aus („Rohrstuhlgeflecht“), September 2012 mischte Braque (…) als erster seinen Farben Sand und Gips bei(…) Materialbilder, die bis heute Element der Gegenwartskunst sind. (…) Brief Picassos an Braque vom 9. Oktober 1912 belegt: „Ich bediene mich Deiner neuesten Papier- und Sandverfahren.“(…) Erfindung der Konstruktionsplastik und der Papiercollage (papiers colles), in die Braque auch Tapetenstücke integrierte, legte er die Fundamente für die Entwicklung der Kunst nach dem ersten Weltkrieg, … “
art, 1995, S.32 und 33 von Jutta Martens

Als George Braque 1882 in Argenteul-sur-Seine geboren wurde, atmete er impressionistische Luft, Claude Monet, der hier bis 1878 gelebt hatte und Gustave Caillebotte, er wohnte in Gennevilliers, gegenüber von Argenteul-sur-Seine, hatten dafür gesorgt.
In Le Havre wuchs er als Jugendlicher auf, wurde Anstreicher, besuchte bald, jeweils für kurze Zeit, Kunstschulen. Schon als 18jähriger zog er nach Paris, durchaus noch im Bann des Impressionismus, von dem er sich aber zu lösen suchte. Er lernte die Malerkollegen Emile-Othon Fries (1879 – 1949) und Raoul Dufy (1877 – 1953) kennen, die ihm halfen, den naturalistischen Impressionismus abzulegen und ihn für die „Wilden Tiere“, die Fauvisten zu begeistern. Schon die impressionistische Generation nach Pissaro, Monet und Renoir hatte versucht, ihre Malweise, die Kombination ihrer Farben fast mathematisch aufzufassen.
Dazu kam 1881 die in französischer Übersetzung erschienene Schrift Modern Chromatics, with Applications to Art and Industry des amerikanischen Physikers Ogden Nicholas Rood (1831 – 1902) oder die Abhandlung Michel Eugene Chevreuls (1786 – 1889) zu den Gesetzen der Simultankontraste und der Veränderung der Farben bei wechselnder Distanz. Diese Arbeiten beflügelten die Spätimpressionisten und Divisionisten, mit Farben anders, freier umzugehen. Mit klaren leuchtenden Farbflächen, die auch die Bildkomposition bestimmten, traten die Fauves gegen die impressionistische Malweise an. Das begeisterte George Braque, der auf dem Pariser Herbstsalon 1905 Werke von Henri Matisse (1869 – 1954), Andre Derain (1880 – 1954) und Maurice de Vlaminck (1876 – 1958) bewundert hatte. 

Georges Braque, Landschaft bei La Ciotat, 1907, Öl auf Leinwand 38 × 46,2 × 2,4 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. © VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf.
Foto: Walter Klein, Düsseldorf

Braque ein Fauvist – aber nur für ein Jahr! Immerhin kennen wir 70 Gemälde von ihm, die dem Fauvismus zuzuordnen sind. Mit leuchtendem Violett und hellem Rosa, kräftiger lebendiger Pinselführung verzauberte er die Landschaften und Häfen um La Ciotat und erstmalig von L’Estaque.

Im Sommer 1907 besuchte Braque die große Retrospektive des im Jahr zuvor verstorbenen Malers Paul Cezanne (1839-1906) im Salon d’Automne in Paris. Cézannes Gemälde beeindruckten ihn nachhaltig (z.B. Paul Cezanne: „Le Mont Saint-Victoire“ in der Fassung von 1904/1906). Die Annäherung der Naturformen an geometrische Formen, die Anordnung in flachen, reliefartigen Bildräumen und der Wegfall der klassischen Perspektive war das völlig Neue, das was er gesucht hatte.
1907 fuhr er ein zweites Mal nach L’Estaque, wo auch Cézanne mehrfach gewesen war,  und malte die erste Version von „Der Viadukt von L’Estaque“. Damit ließ er den Fauvismus hinter sich. Die hellen Farben wandelten sich in Braun-, Grau- und Grüntöne, immer häufiger malte er im Atelier.

Georges Braque, Les Arbres / Die Bäume, 1908, 73 x 60 cm, Öl auf Leinwand, Statens Museum for Kunst, København © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

„Henri Matisse: In meiner Erinnerung war es Braque, der das erste kubistische Bild malte. Er brachte eine mediterrane Landschaft aus dem Süden mit, die ein Dorf am Meer darstellte, die man von oben sah (…) das ist wirklich das erste Bild, das den Kubismus begründet. Wir sahen es als etwas ziemlich Neues an, und es gab viele Diskussionen darüber.
“
Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen, K20, Digital Guide

1908 malte Braque eine Reihe von Bildern mit Motiven von L’Estaque, immer die Gedanken Paul Cézannes im Kopf, „Cezannscher Kubismus“!
Sie führten im gleichen Jahr zur allerersten kubistischen Einzelausstellung in der Pariser Galerie von Daniel-Henry Kahnweiler, nachdem sie mit der Stimme Henri Matisse` „Braque hat ein Bild eingereicht, das aus kleinen Kuben besteht.“ für den Salon d’Automne abgelehnt worden waren. 

Zu dieser Einzelausstellung sagte der Pariser Kunstkritiker Louis Vauxcelles:

„Monsieur Braque ist ein sehr junger und mutiger Mann. (…) Er missachtet die Form, beschränkt alles, Landschaften, Figuren, Häuser, auf geometrische Grundmuster, auf Kuben. 
Die Stilrichtung hatte ihren Namen - Kubismus!
“
George Braque „Tanz der Formen“, HIRMER-Verlag 2020, S. 82.

Anders als die Kritik reagierten Kunsthändler, Galeristen, intellektuelle Partner mit großer Zustimmung und Euphorie.  Stellvertretend seien genannt der Kunsthändler Wilhelm Uhde, der Kunsthistoriker Karl Einstein, der Galerist Daniel-Henry Kahnweiler, aber auch Schriftsteller und Dichter wie die Franzosen Jean Paulhan und Rene Char.
Ende 1908  begann die intensive Zusammenarbeit zwischen George Braque und Pablo Picasso. Gemeinsam entwickelten sie ihren Stil weiter. Sie „analysierten“ ihre Motive, lösten Perspektive und Realität auf und präsentierten ihre Motive in geometrischen Formen, als Würfel, Kugel, Keil oder Kegel, grau-braun koloriert. Ihr Prinzip war, die Figuren hinter oder besser: in den Formen verschwinden zu lassen, so dass der Bezug zur Realität bewußt verloren ging. Hinzu erfanden sie das Prinzip der Mehransichtigkeit, alle Facetten eines Objektes auf einmal zu sehen, aus allen Richtungen, mehrfach und aus den verschiedensten Perspektiven. „…dem Menschen ein zweites Auge geben, das ihm erlaubt, alle Facetten eines Objekts auf einmal zu sehen… .“ Braque 1912

Georges Braque, Klavier und Mandola, Winter 1909-1910, Öl auf Leinwand, 91,7 x 42,8 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021

 

Jeanne-Bathilde Lacourt schreibt :
Braque versteht sich als schöpferischer Urheber, nicht als Imitator, weshalb er auf das Malen vor dem Motiv  verzichtet: Ich suche mich mit der Natur zu verbünden, nicht sie nachzuahmen.
George Braque „Tanz der Formen“, HIRMER-Verlag 2020, S. 35.

Georges Braque, Der Portugiese (Der Emigrant), 1911-1912, Öl auf Leinwand, 116,7 x 81,5 cm, Kunstmuseum Basel – Schenkung Dr. h.c. Raoul La Roche ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021

 

Buchstaben mit Schablonen aufgebracht

Im Jahr 1912 führte die Leidenschaft  Braques für das Handwerkliche, die auf Neues vorwärts drängende Art Picassos, vor allem jedoch die Tendenz des analytischen Kubismus, sich im Abstrakten, im Unkenntlichen zu verlieren, beide Künstler zu einer neuen Form des Kubismus, die das Figürliche und Erkennbare dieser Welt wieder in ihre Bilder einließ, der synthetische Kubismus. Tapetenreste mit einer Holzmaserung hatten Braque animiert,  diese mit weiteren Zeichnungsresten collagenhaft zu verkleben. Man nannte es „papiers colles“.

„Ich muss gestehen“, erinnerte sich Georges Braque, „dass ich, nachdem ich das ‘papier collé’ gemacht hatte, eine Erschütterung verspürte, noch größer aber war der Schock für Picasso, als ich ihm die Arbeit zeigte.“
Studium Kunstgeschichte, Studienmaterial, Kapitel 22/S.20

Georges Braque, Der Tisch der Bar Stout, 1912/13, Öl und Kohle auf Leinwand, 35,7 x 28,6 cm, Museum Ludwig, Köln ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Der Reigen verwendeter kunstfremder Alltagsmaterialen wurde immer größer, hinzu kamen Zeitungsausschnitte, Zierleisten, Buchstaben, Sand , Sägemehl, Kartonagen. Holz und Blech, Farbe spielte wieder eine Rolle.

Braque und Picasso hatten es unternommen, die den Malern von Cézanne aufgegebenen Probleme des Verhältnisses von Form und Farbe radikal weiterzudenken – und erfanden den Kubismus. Keiner der beiden Künstler hätte den Kubismus ohne den anderen erfinden können. Vor allem das Aufeinandertreffen zweier so unterschiedlicher Charaktere – auf der einen Seite der stille, zurückhaltende Franzose, auf der anderen der weltoffene, vor nichts zurückschreckende Spanier, garantierte die Erfindung von etwas ganz Neuem, ganz Besonderem. Obwohl Pablo Picasso dabei war als George Braque und Andre Derain am 02. August 1914 ihrer militärische Einberufung folgen mussten, hatten sie sich schon in den Wochen davor entfremdet. 

Der erste Weltkrieg war für die Entwicklung des Kubismus eine schwere Zäsur, allerdings reichen seine Grundzüge und Ideen, seine Ausführungen bis in die heutigen Tage. Schon bald gab es eine zweite Generation von Kubisten, zu denen ein Juan Gris, ein Fernand Leger und weitere gehörten. Braque war verletzt und Picasso beteiligte sich nicht mehr an deren Aktivitäten. Orphismus, Farbkubismus waren weitere Stilelemente, die der kubistischen Idee folgten. Ohne Kubismus gäbe es keinen Expressionismus, gäbe keine collagierten Textbilder der Dadaisten oder Fotomontagen der Surrealisten. Es gäbe keinen Kurt Schwitters mit seinen MERZ-Collagen und keine Kunst von Marcel Duchamp. Der Einfluß auf die Entwicklung abstrakter Kunst ist unumstritten.

Georges Braque. Erfinder des Kubismus
25.09.2021 bis 23.01.2022

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen – K20
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf

Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag 10 – 18 Uhr
Samstag und Sontag 11 – 18 Uhr

(Am 24. und 31.12.2021 bleibt das Museum geschlossen)

Veranstaltungen, Führungen und Vorträge unter:
Besucherservice
Tel +49 (0)211 8381-204
service@kunstsammlung.de

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher, von Susanne Gaensheimer und Susanne Meyer-Büser herausgegebener Katalog (deutsch/englisch).

240 Seiten
38,00 €