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FREI. SCHAFFEND. – Die Malerin Ottilie W. Roederstein

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Selbstbildnis mit weißem Hut, 1904
Öl auf Leinwand
55,3 × 46,1 cm
Städel Museum, Frankfurt am Main
Foto: Städel Museum

Letztlich staunt man nicht schlecht, was die Museen in diesen Tagen an Bild-, Farben- und Kompositionsfreuden hervorzaubern. Vielleicht begann es im Städel Museum in Frankfurt, als 2018/2019 „Von Angesicht zu Angesicht“ Lotte Laserstein (1878-1993) mit ihren phänomenalen Gemälden vorgestellt wurde. Das Saarlandmuseum widmete sich Anfang 2022 Charlotte Berend-Corinth (1880 – 1967), zeigte mit welcher Autorität die Partnerin von Lovis Corinth nicht nur Künstlerin war, sondern auch für die Kunst lebte. Die Staatlichen Museen Dresden präsentieren den fast vergessenen Sachsen Oskar Zwintscher (1870 – 1976) mit seinen traumhaften Bildern, die er von Meissen malte und die Kunstsammlungen Chemnitz machten uns wieder mit Max Peiffer Watenphul  (1896 – 1937) bekannt. Nicht zu vergessen die umfassende Einzelausstellung zu Hanna Nagel (1907 – 1975) in Mannheim und das Jüdische Museum Frankfurt plant für den Herbst 2022 unter dem Motto „Zurück ins Licht“ die Vorstellung von Amalie Seckbach (1870 – 1944), Erna Pinner (1890 – 1987), Ruth Cahn (1875 – 1966) sowie Rosy Lilienfeld (1896 – 1942). Es ist nur natürlich, dass das Städel Museum Frankfurt in diesem offenen Kreis mit Ottilie Wilhelmine Roederstein (1859 – 1937) eine weitere Künstlerin vorstellt. Auch sie leistete Hervorragendes, war in ihrer Zeit bekannt und geschätzt, wurde aber, wie die anderen, von den Kunsthistorikern, betört vom Siegeszug der abstrakten Malerei, über Jahrzehnte vergessen. Alle hier Genannten bereicherten die Kunstszene am Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Zeit der Weimarer Republik. Es waren starke Persönlichkeiten, vor allem die Frauen, die das Recht einer weiblichen Kunst gleichberechtigt sehen wollten. Einige von ihnen, wie auch die Frankfurter Fotografin Nini Hess (1884 – 1943) , überlebten denn faschistischen Terror nicht und wurden in Konzentrationslagern ermordet. 

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Selbstbildnis mit roter Mütze, 1894
Tempera auf Holz
36 × 24 cm Kunstmuseum Basel
Foto: Martin P. Bühler

Ottilie W. Roederstein war eine feste, selbstbestimmte, unabhängige Persönlichkeit. Sicher hatte sie der beschwerliche Weg geformt, der nötig war, um gegen die Einwände der Mutter, den Berufsweg einer Künstlerin einzuschlagen. Ihre Kindheit verbrachte sie in ihrer Geburtsstadt Zürich. Schweizerische Kunstakademien standen weiblichen Anwärterinnen nicht offen, die finanzielle Unterstützung durch die Eltern war für Größeres zu gering. So begann sie eine Ausbildung bei dem wenig bekannten Züricher Porträtmaler Eduard Pfyffer (1836 – 1899). Zum Glück heiratete ihre Schwester und zog nach Berlin, so dass die familiäre Obhut auch in der Fremde gewährleistet war. Der realistisch malende Porträtist Carl Gussow (1843 – 1907), Professor an der Königlichen Akademie der Künste in Berlin wurde ab 1879 im „Atelier des Dames“ ihr Lehrer. Entsprechend „akademisch“, in gebrochenen Farben ausgeführt, entstanden die ersten Berliner abgetönten Bilder. Das entsprach nicht ihrem Gefühl, ihrer Empfindung, ihrem Wollen! Sie wusste, es gibt Neues, eine ganz andere Auffassung, die Wirklichkeit darzustellen, heller, farbenfroher, vielleicht auch konstruierter, wo?

In Paris! 

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Helene Roederstein mit Schirm, 1888
Öl auf Leinwand
115 × 84,5 cm Privatsammlung, Zürich
Foto: Kunsthaus Zürich

Ottilies jüngere Schwester

Eine freie Stadt mit vielen Ateliers, auch für Damen, und frei auch das Gefühl, als Frau gleichberechtigt in dieser tollen Stadt zu leben. Sie konnte ihre Eltern überzeugen.
Ab 1882 lernte und arbeitet sie in der französischen Hauptstadt, im Stadtteil Montparnasse, direkt über dem berühmten Künstlercafe „Café du Dome“. Fortan wurden Jean-Jacques Henner (1829 – 1905) und Carlos Duran (1837 – 1917) ihre Lehrer und weiteten ihren Blick für eine offenere, freundlichere Malweise. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, schon 1883 konnte sie im „Salon des Beaux Arts“ in Paris eines ihrer Werke ausstellen.

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Bildnis eines Malers in einem Pariser Atelier, 1887
Öl auf Leinwand
86,1 × 49,5 cm
Städel Museum
Frankfurt am Main
Foto: Städel Museum

1887 ging Ottilie W. Roederstein in die Schweiz zurück. Porträtarbeiten füllten ihren Tag.

Aber das freie, unbeschwerte Pariser Leben hatte sein Spuren hinterlassen, das fand sie in der Schweiz nicht. Da war Frankfurt am Main, mittlerweile bekannt als recht fortschrittliches Pflaster und offen für eine gelebte weibliche Emanzipation, die richtige Wahl. Ausreichende finanzielle Mittel der Frankfurter Bürger ließen überdies auf den Wunsch hoffen, sich porträtieren zu lassen. Das klappte schneller als gedacht! Viele Frankfurter Prominente wurden im Laufe der Jahre von ihr porträtiert, z. B. der Maler Jakob Nussbaum (1909), der Dermatologe Karl Herxheimer (1911), oder der Schriftsteller Adolf Stoltze (1924). Ottilie W. Roedersterin wurde sehr bald eine sehr angesehene, fachlich bewunderte Frankfurter Künstlerin, natürlich in den vom Bürgertum geforderten konservativen künstlerischen Grenzen. Ihr Atelier hatte sie im Städel. Ausstellungen folgten, bis Chicago!

… z. B. der Maler Jakob Nussbaum

 

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Bildnis des Malers Jakob Nussbaum, 1909
Öl auf Leinwand86,5 × 61,5 cm
Städel Museum, Frankfurt am Main
Foto: Städel Museum

Sie lernte den Maler Karl von Pidoll (1847 – 1901) kennen, der sie für die Kunst Hans von Marees (1837 -1887) begeisterte. Unter diesem Einfluss wurden die Porträts zarter, feingliedriger, religiöse und allegorische Themen kamen hinzu, Ähnlichkeiten zu Darstellungen in der Renaissance sind zu beobachten.

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Madonna unter Blumen oder Marienmond / Mois de Marie, 1890
Öl auf Leinwand
130 × 89 cm
Pfarrei St. Peter und Paul
Hofheim-Kriftel
Foto: Städel Museum

In diese Zeit fallen auch Akt-Studien, die sie bereits in Paris ausgeführt hatte, aber in Deutschland sehr kritisch gesehen wurden, zumal von einer Frau.   

Parallel dazu entwickelte sich auch in Frankfurt eine modernere Kunstauffassung unter den ansässigen Künstlern. Der Frankfurt-Cronenberger Künstlerbund etablierte sich. Er existierte von 1902 bis 1909/10. Ottilie Roederstein war dabei, war dabei und lenkte ihre Aufmerksamkeit stilistisch auf vom Impressionismus beeinflusste Themen. Das mehr Malerische, Kontur verwischende lässt sich beobachten. Ausstellungen des Künstlerbundes führten in alle großen deutsche Städte, sie war immer mit ihren Werken dabei. In Deutschland wie in der Schweiz war Ottilie W. Roederstein eine feste Grösse im Kunst- und Kulturbetrieb geworden.

Sie eröffnete nicht nur ein Lehr-Atelier, das ausschließlich Schülerinnen aufnahm, sondern kümmerte sich auch um deren Fortkommen. 

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Bildnis Dr. Elisabeth Winterhalter, 1887
Öl auf Leinwand
102,1 × 82 cm
Städel Museum, Frankfurt am Main
Foto: Städel Museum

1885 hatte  die Künstlerin die spätere Ärztin und Chirurgin  Elisabeth H. Winterhalter (1856 – 1952) kennengelernt, sie wurde ihre Lebensgefährtin. 1907 erwarben die beiden ein Grundstück in Hofheim 20 km von Frankfurt entfernt. Nach ihren Vorstellungen wurde ein Haus mit Atelier und Gärtnerhaus errichtet. Losgelöst von großstädtischem Rummel, Verpflichtungen und Ablenkungen begann hier eine unabhängige, eigenständige Schaffensphase. Geometrische Formen, Farben, steile, eckige Konturen befielen ihr Interesse und ihre Bilder. Schweizer Landschaften boten beste Motive,

… aber auch die Porträts wurden schroffer.

 

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Clärchen Pfeiffer oder Grüne Kette 1920
Öl auf Leinwand
64 × 49,5 cm
Stadtmuseum Hofheim am Taunus
Foto: Städel Museum

Ottilie W. Roederstein (1859–1937)
Hanna Bekker vom Rath im Profil 1923
Öl und Tempera auf Karton
51,5 × 40 cm
Stadtmuseum Hofheim am Taunus
Foto: Städel Museum
(Schülerin von O.W. Roederstein in Hofheim)

 

Stillleben und Blumenbilder ergänzten das Repertoire, wobei thematische Einflüsse der Trauer und Einsamkeit durch den 1. Weltkrieg bedingt zu erkennen sind.

 

„Zwischen den nach den Zeitkonventionen verkleideten Gästen wirkte die Dame (Roederstein, d. V.) im schwarzen Rock, den kräftigen, bequemen Halbschuhen, der weißen Weste und dem smokingartigen Sacco herausgehoben und besonders: ein Eindruck, der dadurch noch verstärkt wurde, daß sie mit Lust eine Zigarre zu rauchen pflegte. “
Ernst Benkard: FAZ vom 28.11.1937 „In memoriam“:

1917 entschieden Ottilie Roederstein und Elisabeth H. Winterhalter die Errichtung einer gemeinsamen Stiftung für notleidende Malerinnen und Maler und für die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft in Frankfurt am Main. 

Ottilie W. Roederstein ist Ehrenbürgerin der Stadt Hofheim. 

Das 2021 eingeführte Stipendienprogramm „Ottilie-Roederstein-Stipendium“ des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst für junge Künstlerinnen erinnert durch seinen Namen an die Porträtmalerin und Zeichnerin Ottilie W. Roederstein.

Fotografie
Roederstein-Jughenn-Archiv im Städel Museum, Frankfurt am Main
Foto: Roederstein-Jughenn-Archiv im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

vorn:         Elisabeth H. Winterhalter
dahinter:  Ottilie W. Roederstein

 

Städel Museum
Schaumainkai 63
60596 Frankfurt am Main

FREI. SCHAFFEND. Die Malerin Ottilie W. Roederstein
bis 16.Oktober 2022

DI,MI,FR,SA,SO  – 10 – 18 UHR
DO – 10 – 21 Uhr
Mo geschlossen