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Ernst Barlach – Zum 150. Geburtstag. Eine Retrospektive

Ernst Barlach, den kennen wir alle! Gleich, ob wir im Westen oder Osten aufgewachsen sind, wir kennen ihn in seinen Plastiken und Skulpturen, er steht für Hamburg und Güstrow. In Güstrow ihm zu Ehren trafen sich 1981 zwei ganz verschiedene Deutsche (*Treffen zwischen Erich Honecker und Helmut Schmidt) im Dom und dachten über das Schicksal ihres Vaterlandes nach. Wie kein anderer steht Ernst Barlach für die deutsche Geschichte, nicht nur in seiner Lebenszeit, sondern weit darüber hinaus, also auch bis heute?

Am 2. Januar 1870 wurde Ernst Barlach in Wedel nordwestlich von Hamburg geboren und starb 1938 in Rostock. Das Dresdner Albertinum zeigt zur 150. Wiederkehr seines Geburtstages eine sehr umfangreiche und profunde Werkschau des Künstlers, die hervorragend kuratiert dazu die Stationen seines Lebens und sein vielfältiges Betätigungsfeld aufzeigt. Sicher, bekannt ist uns Ernst Barlach durch seine vielen charakteristischen Skulpturen, aber er füllte ein Leben lang Taschenbücher und Skizzenhefte, zeichnete, schuf Grafiken und schrieb eine Reihe von Dramen. Die Vielfalt an originalen, hochkarätigen Werken verdankt das Dresdner Museum einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Ernst-Barlach-Haus in Hamburg und der Ernst Barlach Stiftung in Güstrow.

Ernst Barlach im Ganzen, eine Schau, die verpflichtet und gesehen werden muss.

links: Ernst Barlach, Der Asket (Detail),
1925 Copyright Ernst Barlach
Haus – Stiftung Hermann
F. Reemtsma, Hamburg, Foto: H.-P.Cordes,Hamburg

rechts: Ausstellungsansicht „Ernst Barlach zum 150.Geburtstag“ Eine Retrospektive
Copyright SKD, Foto: Oliver Killig
Russische Bettlerin mit Schale, 1906

In einem der letzten Briefe vor seinem Tode 1938 an seinen Bruder Hans bilanzierte Ernst Barlach: »Inzwischen ist in Hamburg die Entfernung meiner Arbeit von dem Ehrenmal beschlossen. Wenn das geschehen, sind alle meine größeren Arbeiten abgetan und vor dieser Zeit ausgetilgt […]. Ich klage nicht an, aber ich bin nicht im geringsten reumütig oder gar gebessert.«

Diese Zeilen markierten den Endpunkt einer Reihe von Schicksalsschlägen, die Ernst Barlach wie viele seiner Künstlerkollegen unter der nationalsozialistischen Diktatur erleiden musste. »Im Namen des deutschen Volkes« schloss man Museen mit seinen Werken, konfiszierte seine Schriftstücke, Grafiken, Zeichnungen, Skulpturen, baute Mahnmale ab und zwang ihn zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste, da all dies »die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde«! Ernst Barlach starb im gleichen Jahr 1938 und sah sein Lebenswerk vernichtet, ein Lebenswerk, das friedlicher nicht sein konnte.

Ernst Barlach, Junge mit Panflöte, 1891/92
Copyright Ernst Barlach Haus – Stiftung
Hermann F. Reemtsma, Hamburg,
Foto: H.-P. C

Nach ersten zeichnerischen Schritten und einer nur als mäßig von ihm gepriesenen Ausbildung an einer Gewerbeschule in Hamburg begann Ernst Barlach 1891 an der Königlichen Kunstakademie in Dresden die Ausbildung zum Bildhauer. Prägend, insbesondere für das handwerkliche Können, war der Bildhauer und Kunstprofessor an der Akademie Robert Dietz. Ernst Barlach zeichnete sehr viel in diesen 4 Jahren, aber in seinen zahlreichen Briefen liest man immer wieder Kritisches über die sächsische Metropole. Da fehlten passende Atelierplätze oder das verordnete Abzeichnen langweilte ihn. In Dresden herrschte in seiner Zeit noch ein dem Klassizismus ergebener konventioneller Akademieduktus, die Avantgarden der »Brücke« kamen erst 10 Jahre später. Aber Barlach beendete seine Ausbildung 1895 mit der viel beachteten Plastik »Die Krautpflückerin«, einer Skulptur in Gips. Schon bei ihr, aber noch mehr in einer gleichzeitig gezeichneten Skizze einer sich bückenden Landarbeiterin und späteren Skizzen in seinem Pariser Skizzenbuch zeigten sich die für seine spätere Kunst typischen großflächigen Areale in einer klaren Form.

Es folgte ein Aufenthalt in Paris, der ebenso wie spätere Reisen nach Italien wenig Einfluss auf seine weitere künstlerische Entwicklung hatte. Wieder in Norddeutschland angekommen bestaunt man in seinen Zeichnungen symbolistische Einflüsse (Max Klinger), kann die in dieser Zeit entstandenen Keramiken bewundern, aber eine depressive Stimmung kündete von einer schwierigen Lebensphase (»Hilf dir selbst« Kohlezeichnung von 1904 zum Beispiel).

Zum Glück arbeitete Barlachs Bruder in der heutigen Ukraine als Ingenieur, so dass eine Reise in dieses so unbekannte Reich, die Begegnung mit Armut und einfachsten Menschen das bleibende Ziel all seiner zukünftigen künstlerischen Arbeiten definierte: die Darstellung der menschlichen Figur. Sowohl Zeichnungen als auch die in der Folge gefertigten Plastiken noch in Gips und Stein setzen Barlachs Empfinden, natürliche menschliche Bewegung mit einfachsten Linien, Flächen und Formen darzustellen, fort.

Ernst Barlach, Russisches Tagebuch I „Aus Rußland 1906“
Taschenbuch mit rotbraunem Ledereinband, Copyright Ernst
Barlach Stiftung Güstrow, Foto: Wittboldt/Laur

Das Interesse für Holz entstand. Anfangs mühsam und in eigener Regie lernte er mit Stemmeisen und den verschiedensten Beitel-Formen dieses wunderbare Material zu bearbeiten. Er nannte es »Holzhacken«. Tischler halfen ihm, Holzteile zu verleimen, besorgten ihm die verschiedensten Holzarten.

Fast 100 Holzskulpturen entstanden in drei Jahrzehnten zwischen 1906 und 1937, nach 1910 in seinem neu erbauten Atelier in Güstrow. Ernst Barlach widmete sich allen denkbaren menschlichen Regungen »Tod im Leben«, »Der Asket«, »Der Rächer«, »Verhüllte Bettlerin«, »Lesender Klosterschüler«, »Mutter und Kind«, »Sorgende Frau« oder dem herrlichen »Fries der Lauschenden«. Allen gemeinsam ist die klare einfache, oft faltenlose flächige und blockhafte Darstellung der Körper ohne im Detail (Hände, Füße, Falten; Gesichtsausdruck) zu sparen. Diese Details und Nuancen verlieren sich bei den leider nach 1945 zahlreich gefertigten Bronzeabgüssen und helfen damit, Barlachs Werk zu verfälschen. Er nahm sich viel Zeit, um die Oberflächen seiner »Puppen« aussagefähiger zu bearbeiten. Durch Wachs, Schelllack, farblichen Beizen betonte er Strukturen oder verwischte sie. So entstanden z.B. nahezu mit Bronze verwechselbare Oberflächen.

Ernst Barlach, Der Rächer, 1922
Lindenholz, 57,2 x 78,9 x29,1 cm
Copyright Ernst Barlach Haus Hamburg,
Foto: Andreas Weiss

Mittlerweile für seine Können bekannt und berühmt, das »Menschliche« glaubhaft ausdrucksstark darzustellen, eröffnete dies ihm Aufträge, Mahnmale für die Opfer des 1. Weltkrieges zu gestalten. Sie sind uns alle bekannt, sei es die »Schmerzensmutter« in Kiel, das Güstrower Ehrenmahl, der »Geistkämpfer« in Kiel, das beklemmende Magdeburger Ehrenmahl und die Stele vor dem Hamburger Rathaus. Alle bezeugen das menschliche Leid. Sie mahnen mit fühlbarer Stille an die Opfer und gegen das Vergessen.

Das genügte einer rechten Gesinnung nicht. Es fehlte einfach das Heroische, Standhafte, die dargestellte Ehre, für sein Vaterland sterben zu dürfen. Überhaupt entsprach die Kunst eines Ernst Barlachs nicht dem nationalsozialistischen Kunstverständnis. Alle seine Mahnmale wurden entfernt, all seine Kunst als entartet eingestuft. Ihm blieb nichts.

… nach 83 Jahren wieder
in Dresden zu sehen:
„Das frierende Mädchen“
1937 als „entartet“ ein-
gestuft und verschleppt

Ernst Barlach, Frierendes Mädchen, 1917

Nach 1945 beschritt die Kunst Ernst Barlachs einen Siegeszug durch deutsche Lande. Barlach und sein Werk wurde in beiden Teilen geehrt, im Westen als eines, das der Kirche diente, im Osten als eines, das dem sozialistischen Gedankengut nahestand. Man weiß aber, Ernst Barlach hatte, obwohl er sich mit Glaubensfragen beschäftigte nie eine konfessionelle Bindung und Gedanken der Arbeiterbewegung waren ihm fremd. Er war ein zutiefst dem Menschlichen zugetaner Künstler, der mit seinen Mitteln, die er frei und ohne Einschränkung wählen wollte, die menschliche Existenz in all ihren Facetten gestaltete. Dabei bediente er sich einer ihm eigenen expressionistischen Form, er zeigte seine Vorstellung des Erinnerns, die eindeutig gegen den Krieg gerichtet war, in seinen Mahnmalen auf. Ein oft zitierter Ausspruch von ihm lautet: »Zu jeder Kunst gehören zwei: einer, der sie macht, und einer, der sie braucht.«
Ja, wir sollten sie aufmerksam studieren.

Ernst Barlach. Zum 150. Geburtstag. Eine Retrospektive
Albertinum
Georg-Treu-Platz, 01067 Dresden
+49 (0)351 4914 2000

Öffnungszeiten
11 – 17 Uhr montags geschlossen
17 – 20 Uhr freitags
Eintritt 12 €

Kuratorenführungen, Ausstellungsrundgänge, Konzert, Lesungen, Vorträge u.a.,

Zur Sonderausstellung ist ein sehr umfangreicher, reich bebilderter Katalog im Sandsteinverlag (www.sandstein-verlag.de) erschienen „Ernst Barlach „…was wird bis Übermorgen gelten?“ Eine Retrospektive für 48 €