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Eine kleine Geschichte der Teetasse

In meinem Besitz befindet sich ein Teeservice aus den 1950ern, das meiner Oma gehört hat. Die kleinen Teetassen sind zauberhaft, klein, dünn und zart, mit den passenden Untertassen. Die Milchkanne ist ebenso zerbrechlich und von einer Größe, die vier ordentliche Spritzer Milch aufnehmen kann, nicht mehr und nicht weniger. Das Ganze ist mit Blumen besetzt und hübsch und für eine Tee-Party geeignet. Natürlich trinke ich meinen Tee nicht aus den winzigen Teetassen, und zwar exakt aus dem Grund: weil sie so winzig sind. Ich trinke meinen Tee aus riesigen Dingern, die schön und zierlich schienen, als ich sie gekauft habe, die aber neben dem Service meiner Oma klobig und – ehrlich gesagt – raffgierig aussehen.

Die meisten Dinge, inklusive uns selbst, sind im Wandel der Zeit überdimensional geworden. Habt ihr die Größe der Getränkebecher im Kino gesehen? Man könnte ein Baby darin baden. Und Starbucks allein hat das mit Kaffee getan, was McDonald’s mit Cola gemacht hat – nämlich uns das Gefühl gegeben, dass ein halber Liter ganz normal ist, wenn nicht sogar notwendig. (Wusstet ihr, dass der Venti-Becher bei Starbucks mehr als einen halben Liter Flüssigkeit beinhaltet? Und dass der Trenta-Becher, der vor vier Jahren eingeführt wurde, für etwas weniger als einen Liter eures liebsten Eistees bei Starbucks gemacht wurde?) Die meisten von uns würden Teetassen oder Kaffeebecher keines zweiten Blickes würdigen, wenn sie weniger als 300 ml fassen. Tee ist erschwinglich, und wir trinken eine Menge davon, warum also können wir ihn nicht in Tassen mit vernünftiger Größe trinken?

Wenn ihr euer morgendliches Getränk aus eurer sorgfältig ausgewählten Tasse schlürft, kommt es euch wohl eher nicht in den Sinn, darüber nachzudenken, woher sie kommt. Wenn ihr an Tee in früheren Zeiten denkt, dann ist das Bild, das euch wahrscheinlich in den Sinn kommt, das eines sehr englischen Gentleman oder einer Lady, die aus feinem Porzellan trinken, den Henkel anmutig umgriffen, den kleinen Finger abgestreckt. Von dem Moment an, als Tee das Getränk des Alltags wurde, wurden es die Teetassen auch. Aber es gibt eine Geschichte hinter der bescheidenen Teetasse und davon, wie sie zu dem Gefäß wurde, mit dem wir heutzutage vertraut sind. Die Tasse wurde nicht einfach nur größer, um europäische Beigaben wie Milch unterzubringen, es wuchs ihr irgendwann auch ein Henkel.

Von dem Moment an, als portugiesische Händler den ersten Tee aus China nach England brachten, war es das Modegetränk, das nur die konsumierten, die es sich leisten konnten. Teetrinker schlürften ihren kostbaren Aufguss aus kleinen chinesischen Teeschalen, die zusammen mit den Teeblättern importiert wurden. Tee war so teuer, dass er in sehr kleinen Mengen aus sehr kleinen Schalen getrunken wurde. Sowohl der Tee als auch das chinesische Porzellan sorgten in Europa für Aufsehen, ersteres für seinen Geschmack und letzteres für seine Ästhetik und seine Brillanz. Porzellan wurde enorm wertvoll, und die Europäer waren erpicht darauf, ein Stück des Kuchens abzubekommen – und ebenso darauf, ihre eigenen Gefäße herzustellen, aus denen sie Tee trinken. Den Tee zu importieren war teuer genug, dementsprechend kann man sich vorstellen, welch finanziellen Einschnitt der Import des Porzellans bedeutete.

Recht bald wurden Teeschalen in Europa hergestellt, allerdings mit einem entscheidenden Problem: Im Gegensatz zum härteren chinesischen Porzellan hielt das Porzellan aus Europa dem kochenden Wasser nicht stand und sprang, wenn das Wasser zu den Teeblättern gegossen wurde. Eine magische Zutat fehlte, die die Europäer von einem Porzellan-Boom abhielt. Wenig überraschend war es ein Deutscher, nämlich der Alchimist Johann Friedrich Böttger, der das Problem im Jahr 1709 unter immensem Druck des Königs löste. Wie bei jeder guten Geschichte war auch hier ein wenig Verrat und der Verkauf eines Geheimnisses im Spiel, aber das Wichtigste war, dass ab 1710 das erste Porzellan in Europa hergestellt wurde – genauer gesagt in Meißen, wo die königliche Porzellanmanufaktur gegründet wurde.

Allerdings verloren die Teeschalen bald an Beliebtheit bei europäischen Teetrinkern, die Zucker in ihren Tee gaben und sehr heißes Wasser benötigten, um ihn aufzulösen. Sehr heißes Wasser bedeutete sehr heißen Tee, und sehr heißer Tee bedeutete sehr heiße Hände, die sich um die Teeschalen schlossen. Robustes Porzellan, das nicht sprang, pflasterte den Weg für die Briten, um das komplette Ausmaß ihrer Begeisterung für Tee zu entfesseln. Von den 1750ern an wurde England das Zentrum für die Produktion von Porzellan und Keramik. So war es der Brite Robert Adams, der als Designer der ersten Teetasse mit Henkel gilt. Und als er diesen Bogen abgeschossen hatte, war er nicht mehr zu halten. Kurz darauf wurde das komplette britische Teeservice geboren, mit Untertassen, einer Zuckerschale, Zangen für Zitronen, einer Milchkanne, Teelöffeln und jedem anderen Accessoire, von dem ein anständiger Teetrinker nur träumen kann. Mit dem 19. Jahrhundert waren Teeschalen aus der Mode, und Teetassen – mit ihrer gesamten Ausstattung – waren wirklich und wahrhaftig im Trend. Wie der Tee, der es nötig machte, war das Teeservice das Spiegelbild des sozialen Standes eines Haushalts, denn je höher die Klasse war, der er angehörte, desto feiner war das Porzellan.

Irgendwann, vermutlich um die Zeit herum, als England das chinesische Teemonopol stürzte und auf seinen Teeplantagen in Indien ein Imperium aufbaute, war der Tee nicht mehr so extrem teuer und musste nicht mehr aus einem Fingerhut getrunken werden. Günstigerer Tee hatte zur Folge, dass ihn die Menschen in größeren Mengen trinken konnten als vorher. Noch dazu entwickelten die Europäer die seltsame Angewohnheit, Milch in ihren Tee zu gießen, weshalb Tassen auch diese aufnehmen mussten. Und genau wie unsere Taillen wuchsen die Teetassen. Und wuchsen. Und wuchsen.

So sitzen wir heute also hier und trinken unseren Tee, als wäre er Wasser, aus unseren riesigen Tassen, auf denen Sprüche wie „Beste Mama der Welt“ gedruckt sind und die etwa 250 ml von den kleinen Schalen entfernt sind, aus denen die britische Oberklasse vor 400 Jahren sparsam ihren Tee schlürfte.