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„Dressed. 7 Frauen – 200 Jahre Mode “ Rezension des Kataloges

Das Interesse für Mode in Deutschland ist überschaubar. Laut Allensbacher Marktanalyse für das Jahr 2021 trifft es nur für knapp 12 Millionen der Deutschen zu. 33 Millionen haben dafür kein Augenmerk. Massenware von C&A und H&M bestimmen das Bild.
Was tun?
Denn, wie sich zeigt, Mode ist mehr als „Gut aussehen!“.

Eine tolle Idee hatten die Verantwortlichen des Museums für Kunst & Gewerbe am Hamburger Steintorplatz. Unter dem Motto „Lasst die Mode sprechen“, zeigen sie, wie die unterschiedlichsten Modetrends im Laufe von 200 Jahren Zeitgeist, handwerkliches Können, politische Rahmenbedingungen, Dürrezeiten, Prestige einzelner, aber auch Symptome einer Überflussgesellschaft dokumentieren. Schon immer hieß es „Kleider machen Leute“, sie charakterisieren eben auch jene Leute, die dafür kein Interesse haben, ob sie wollen oder nicht. Kleidung ist ganz einfach ein wesentlicher Teil unserer Persönlichkeit.

Der HIRMER-Verlag, München begleitet die Ausstellung mit einem hervorragend bebilderten und äußerst informativen Katalog. 

 

Wichtig ist, das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe sammelt Kleidungsstücke, zum Teil ganze Garderoben, von Menschen unterschiedlichster sozialer Stellung und Herkunft. Aus der Zeit von 1807 bis heute zeigt die Ausstellung „Dressed“ die modischen Ausstattung von 7 Frauen. Jedes einzelne Exponat erzählt eine Geschichte, gibt die soziale Stellung der Trägerin preis, widerspiegelt das Können der textilen Fabrikation, beleuchtet den speziellen Geschmack der Trägerin, zeigt aber vor allem, wie bewußt diese oder jene Entscheidung für ein Modestück fiel. 

 

Man bewundert die reichhaltige und handwerklich bestaunenswerte Brautausstattung für eine gut bürgerliche Hochzeit im Jahre 1826 in der holsteinischen Provinz,
nimmt Anteil an der großbürgerlichen Ausrichtung von Edith von Maltzan Freifrau von Wartenberg und Penzlin, die ihren Mann, er war Botschafter in den USA, mit einer repräsentativen Garderobe zur Seite stand.
Nachdenklich stimmt  die Ausstattung einer früh verstorbenen Frau, die mit bewundernswertem Willen, letztlich durch eine einfache, aber modisch bewußte Bekleidung  ihre durch Krankheit und Abwesenheit bestehenden Defizite zu kaschieren wußte. Und all das während des 2. Weltkrieges! Die verwendeten Stoffe berichten von Ersatzgeweben und allgemeinem Mangel.
Wir erfahren von Frauen, die den aufkeimenden bundesdeutschen Wohlstand nach 1945 erkannten und ihr natürliches Selbstbewusstsein nicht nur durch ihren Beruf, sondern auch durch einen gezielt eingesetzten Modestil repräsentieren. Das erfolgt ganz unterschiedlich. Erinnert sich die eine noch an die schlechten Jahre und pflegt ihre gehobene Garderobe für ein langes Tragen, um sich letztendlich aber einem berühmten Modeschöpfer zu ergeben und über 20 Jahre nur dessen Sachen trägt.
Eine durch ihren Beruf schillernde Modeikone steuert ihren Stil sicher und zeitlos durch ihren übervollen Arbeitstag facettenreich mit dem „kleinen Schwarzen“.
Aber auch ganz andere „machten“ Mode. Wir lernen eine Frau kennen, tief verwurzelt in der Punk-Szene, die ihr Outfit mit diesem Gedankengut verbindet. Sie kreiert aus Altem mit irren Ideen Neues. Metall und Leder spielen die Hauptrolle.
Auch das „Heute“ wird beleuchtet. Mit großem japanischem Design-Einfluß entstehen Makro-Mäntel, -kleider und -shirts, die geschlechtsneutral Mann und Frau gleichermaßen passen, … oder gar nicht tragbar sind, nur zur Freude und zum  Sammeln existieren. 

Die Ausstellung und der Katalog begleiten unser Land über 200 Jahre nur mit seiner Modevielfalt, aber erzählen damit alles!

Voraussetzung für unser Schauen oder Lesen ist allerdings eine ganz neutrale Sichtweise. Mode hängt viel mit Geschmack zusammen und da kann man ja bekanntlich endlos streiten. Dem einen wird das altbürgerliche Detail zusagen, dem anderen die Raffinesse des schwarzen Cocktailkleides und nicht jeder wird auf die Punk-Mode abfahren. Eines zeigen aber alle Beispiele, hinter jedem Stück verbergen sich Ideen, Kreativität und Engagement durch die Schöpfer, Geschmack, Stilempfinden und Persönlichkeit durch ihre Trägerinnen, vor allem jedoch künden sie vom jeweiligen Zeitgeist.
Eine tolle Präsentation des Museums!

Der Katalog ergänzt das Geschaute ideal.
Jede der 7 Frauen wird in ihrer Lebenssituation und ihrem allgemeinen Umfeld charakterisiert. Viele der Kleidungsstücke  sind großformatig dargestellt und mit all ihren Merkmalen beschrieben. Das sogenannte „Archiv“ bietet das gesamte Kleiderkonvolut einer jeden. Am Ende des Kataloges ordnet ein Zeitstrahl die Mode nochmals dem Zeitgeschehen zu. 

Mit Recht schreibt Claire Beermann

„Wenn ich vom Anziehen spreche, dann vom kreativen Akt dahinter, von der bewussten Zusammenstellung unterschiedlicher Silhouetten, Farben und Stoffe.“
Claire Beermann, Katalog zu „Dressed. 7 Frauen - 200 Jahre Mode“, S.13

Und deshalb rät Joanne Entwistle (Katalog zu „Dressed. 7 Frauen – 200 Jahre Mode“, S.10) dringend, nach der Lektüre einen Blick in den Kleiderschrank zu werfen. 

 

Natürlich denkt man weiter. Welche modischen Eindrücke werden zukünftige Generationen von den gegenwärtigen Outfits haben? 

Sammeln entsprechender Kleidungsstücke wird wahrscheinlich zunehmend schwieriger werden, weil es bequemer erscheint, Billigwaren zu entsorgen als zu pflegen.

Einfach wird es werden: Jeans, T-Shirts und Sneaker!

 „Dressed. 7 Frauen – 200 Jahre Mode“
Museum für Kunst und Gewerbe
Steintorpl., 20099 Hamburg

Öffnungszeiten Fr. 10 – 18:00 Uhr
E-Mail: service@mkg-hamburg.de

Hirmer-Verlag
80335 München, Bayerstraße 57 – 59
https://www.hirmerverlag.de/

Katalog zur Ausstellung
Dressed. 7 Frauen – 200 Jahre Mode“
Herausgeberin Tulga Beyerle et al.

für 45 €