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Die Berliner Bildgießerei Hermann Noack präsentiert: ERNST BARLACH – Künstler des Soseins

Die Stadt Kiel hatte Ernst Barlach  Mitte der 1920iger Jahre beauftragt, für die Stadt eine repräsentative Skulptur zu schaffen, um damit „eine Idee“ darzustellen. Ende 1928 wurde dieses als „Der Geistkämpfer“ bekannte  Werk Barlachs in Kiel aufgestellt.

Am 3.9.1928 hatte Ernst Barlach an den Kieler Staddtbaurat Willy Hahn dazu folgendes geschrieben:

„Über die vermutliche Dauer der GUSSARBEIT gebe ich Ihnen nach Eintreffen des Modells Nachricht, ich lasse Herrn Böhmer hinfahren, ... er wird sich vom Zustand der bisherigen Arbeiten überzeugen und mit NOACK den Lieferungstermin abschätzen. “
Franz Fühmann „Ernst Barlach, Das Wirkliche und Wahrhaftige“, VEB Hinstorff Verlag Rostock, 1970, 1. Auflage, S. 196

Ernst Barlach
Selbstbildnis III
Lithografie 1928
426 x 308 cm
WVZ 91
Privatsammlung
Foto M. Neubauer

… und mit Noack den Lieferungstermin abschätzen!“ 

Hermann Noacks (1867 – 1941) Bildgießerei, damals in Berlin Friedenau, nahm im Schaffen Ernst Barlachs eine ganz besondere Rolle ein. Barlach hatte gezeichnet, Plastiken aus Gips und Stein geformt, nahezu 100 Holzskulpturen geschaffen, fühlte aber, dass eine besonders schöne, gewagte, plötzliche Eingebung im Schaffen, eine „momentane Beglücktheit“ hervorruft, die sich im schwerfällig zu bearbeitenden Holz nicht festhalten läßt.

„Diese Dinge vor allem verlangen nach Bronze, in der die ganze Frische des augenblicklichen Gefühls erhalten bleibt, hier vermag sie allein getreu zu sein und das Erlebnis der Minuten zu erhalten …“
aus Ausstellungsunterlagen 2022 der Herrmann Noack Gießerei, Berlin unter „Künstler des Soseins

Ernst  Barlach bekräftigte es Alfred Flechtheim (1878 – 1937) in einem Brief vom 14.10.1930 nochmals:

„Die erste größere Arbeit in Bronze, der Domengel in Güstrow, wollte mir gleich als Bestätigung der Eignung meiner Art für Metall erscheinen. Wie sehr ich recht darin hatte, weiß ich nicht. Aber Lust und Überzeugung waren angeregt, und der Wechsel des Materials machte sich immer wünschenswerter.“
Franz Fühmann „Ernst Barlach, Das Wirkliche und Wahrhaftige“, VEB Hinstorff Verlag Rostock, 1970, 1. Auflage, S. 149

Ernst Barlach hatte die 5m hohe Bronzeplastik „Der Geistkämpfer“ für die Stadt Kiel als Auftragsarbeit übernommen, eine engelsartige Figur, die mit beiden Händen ein Schwert nach oben hält, steht auf dem Rücken eines wilden Tieres. 1937 wurde sie als entartete Kunst aus dem Stadtbild entfernt. In vier Teile zersägt überstand sie Nazi- und Kriegszeit. Primär von der Bronzegießerei Hermann Noack geschaffen, war es auch diese Gießerei, die die Teile 1954 wieder restaurierte. Der Geistkämpfer steht heute vor der Nikolaikirche in Kiel und kündet stolz, wie von Barlach gewünscht, vom Sieg des Geistigen über das Irdische. 

 Die Bildgießerei Hermann Noack ist seit 1897 ein Berliner Familienbetrieb, jetzt in 4. Generation. 

Nicht nur in Berlin selbst, auch international genießt die Gießerei hohes Ansehen. Bekannte und berühmte Arbeiten stammen aus ihrem Betrieb. Prominente Berliner Denkmale, wie die Quadriga auf dem Brandenburger Tor von Schadow, die  Viktoria von Drake auf der Siegessäule oder die gegossenen Berliner Bären nach Renee Sintenis hat die Bildgießerei neu oder wieder geschaffen oder restauriert. Zu ihren internationalen Kunden gehörten und gehören renommierteste Künstler wie Wilhelm Lehmbruck, Käthe Kollwitz, Georg Kolbe, Henry Moore, Joseph Beuys, Rainer Fetting, Georg Baselitz und Jonathan Meese. 2010 hat sie ihren Produktionsstandort von Berlin-Friedenau an die Spree nach Charlottenburg verlegt in einen ganzen Komplex aus Arbeit, Gastronomie, Kunst und Kultur. 

Das einzigartige Werk Ernst Barlachs spielt in der Geschichte der Gießerei eine wichtige Rolle. Hier wurde sein umfangreiches und bis heute anrührendes Werk gegossen. 

Ernst Barlach
Apostel I
Bronze patiniert
1925
60,5 x 58 cm
WVZ 378
Privatbesitz
Foto: M.Neubauer

Die aktuelle Ausstellung ist nicht nur Ausdruck dieser engen Beziehung, die Ernst Barlach zu Lebzeiten erlaubte, sein Werk in Bronze gegossen zu sehen. Sie zeigt, wie aktuell und wichtig die Berliner Gießer Barlachs Werk auch für die Gegenwart sehen. Die über 30 Werke Ernst Barlachs wirken in der aus Beton, Metall und viel Licht bestehenden Werkstattgalerie auf eine ganz besondere Weise. Jedes Bild, jede Zeichnung, jede Skulptur wirkt für sich, umweht von der Aura, hier größtenteils geboren zu sein. 

Barlach hatte 1906 die heutige Ukraine besucht, 1928 schreibt er: „Rußland gab mir seine Gestalten“. Die Begegnung mit Armut und einfachsten Menschen definierte das bleibende Ziel all seiner zukünftigen künstlerischen Arbeiten: die Darstellung der menschlichen Figur. Sowohl in seinen Zeichnungen als auch in  den folgenden Plastiken zeigt sich Barlachs Genie, natürliche menschliche Bewegung mit einfachsten Linien, Flächen und Formen darzustellen. 

Als Künstler des „Soseins“ widmete er sich allen denkbaren menschlichen Regungen. Allen gemeinsam ist die klare einfache, oft faltenlose flächige und blockhafte Darstellung der Körper ohne im Detail (Hände, Füße, Falten, Gesichtsausdruck) zu sparen. Hier können wir es studieren: eher traurig, auch wenn es ein „Vergnügtes Einbein“ ist, staunend vor dem „Spaziergänger“, vor dem „Singenden Mann lauschend, …

… still vor einem „Buchleser 

Ernst Barlach
Der Buchleser
(Ausschnitt)
Bronze (patiniert)
1936
42,2 x 20,5 x 32,5 cm
WVZ 600
Privatsammlung
Foto: M.Neubauer

und an das “Sosein“ denkend vor „Frau Sorge. 

So wie so vieles Modernes, Wertvolles und Schönes den Nazis zum Opfer fiel, galt auch Ernst Barlachs Kunst als entartet. Ihm blieb nichts.

Das in der Ausstellung zu bewundernde „Wiedersehen“ z.B. verschwand im Landesmuseum Schwerin. 

Ernst Barlach
Das Wiedersehen (Ausschnitt)
Bronze patiniert
1926
48 x 19 x 12 cm
WVZ 391
Privatsammlung
Foto: M.Neubauer

Ein Ausstellungsverbot folgte, vom Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste bekam Ernst Barlach 1937 den Rat, freiwillig aus der Akademie auszuscheiden. Er hatte ganz einfach den Menschen in all seinen Lebensfacetten, in „seiner Geworfenheit zwischen Himmel und Erde“ dargestellt, das war zu viel. 

Man verläßt der Bildergalerie am Berliner Spreeboard, die von kargen Betonwänden eingefasste Ausstellungsalle  mit Zeichnungen und Skulpturen dieses bewundernswerten Künstlers mit einem eigentümlichen Gefühl. Viele Zustände, die Barlach zu seiner Kunst anregten, findet man immer noch.

ERNST BARLACH ZUM 150. GEBURTSTAG
30. APRIL — 3. JULI 2022

Werkstattgalerie Hermann Noack
Am Spreeboard 9b, 10589 Berlin

Öffnungszeiten für diese Ausstellung:
Do 12 – 17 Uhr
Fr + Sa 12 -19 Uhr
So 12 – 17 Uhr