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Der Künstler Gerhard Richter feiert seinen 90. Geburtstag

Gerhard Richter 2016
© Foto: Hubert Becker

Kaum ein Feuilleton  vergisst in diesen Tagen den Maler, Bildhauer und Fotograf Gerhard Richter zu würdigen. Am Mittwoch, dem 9. Februar feierte er seinen 90. Geburtstag. Ein Ereignis, nicht nur in der Kunstwelt! 

Gleich drei große Museen widmen ihm eine Retrospektive, die Staatlichen Kunstsammlungen seiner Geburtsstadt Dresden, die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen und die Neue Nationalgalerie in Berlin.

Gerhard Richter ist bekannt, berühmt, gefeiert, begehrt in Kunstakademien, Ausstellungen, Museen und vor allem bei Sammlern.  Man ist sich einig, er ist der wichtigste Gegenwartskünstler weltweit.  Über 60 Jahre lang begeisterte er sich an Bildern. Malen war für Ihn der Weg, immer wieder neue und Neues zu schaffen.  Ideen, Experimente, Versuche führten zu bisher nie da gewesenen Arbeiten mit Glas, Spiegelungen, abstrakten Farbvarianten oder übermalten Fotografien. Dietmar Elger, Kunsthistoriker und Leiter des Gerhard Richter Archivs an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden verwaltet 5000 Kataloge, 350 Plakate und zahlreiche Architekturmodelle, die von den internationalen Ausstellungen des künstlerischen Schaffens Gerhard Richters künden. 

 

Abstraktes Bild (951-3), 2017
Öl auf Leinwand, 140 x 100 cm
© Gerhard Richter 2021 (0165/2021)

1932 in Dresden geboren, wuchs „Gerd“ Richter in der nahen Oberlausitz auf und hinterließ in dieser Gegend, angestellt als Theatermaler in Zittau, seine ersten künstlerischen Akzente. In Görlitz zeigt am Giebel eines Bürogebäudes ein großes Wandbild mit einer Sonnenuhr den stilisierten Plan von Görlitz und Zgorzelec, der beiden an er Neisse gelegenen deutschen und polnischen Städte. 

Wichtig aber waren für ihn die Studien an den Kunsthochschulen in Dresden und später nach der Flucht 1961 in das freie Deutschland in Düsseldorf. Bald liess Gerhard Richter alles hinter sich, suchte und sah nach Ausdrucksformen, die das Bisherige, ihn beeinflussende sei es die Moderne, der abstrakte Expressionismus, die Pop Art oder die Minimal Art ersetzten. In zahlreichen Versuchen setzt er sich mit der Malerei auseinander, übte sich in „Vermalungen“ von Bildvorlagen, entwarf Farbtafeln mit industriell gefertigten Farben, setzte sich mit der „Unfarbe Grau“ auseinander und widmete sich verschiedenen Themenkomplexen (Porträts, Landschaften).

Gerhard Richter, Selbstportrait (836-1), 1996
Öl auf Leinwand, 51 x 46 cm©
Gerhard Richter 2021 (0165/2021);
The Museum of Modern Art, New York.
‚Gift of Jo Carole and Ronald S. Lauder and
‚committee on Painting and Sculpture Funds, 1996

 

Intensiv beschäftigte er sich mit dem viel diskutierten Gegensatz von gegenständlicher und abstrakter Malerei. Die Fotografie war die grosse Rivalin der gegenständlichen Malerei geworden. Zwar identifiziert sie das Gegenständliche in exakter Form, liefert aber letztendlich nur den materiellen Widerschein. Nur die malende oder zeichnerische Hand hinterlässt subjektive, ideen- oder stimmungsgetriebene Spuren, die dem Bild das Prädikat eines Unikats verleihen. Diesem Gedanken folgend, versteht man, warum Gerhard Richters Werke so beeindruckend auf uns wirken. Peinlich darauf bedacht, das eigene ich in seinen Bildern zu verbergen, sprechen sie uns durch phänomenale Farbgestaltungen und -kombinationen emotional an. Gleich ob in den verfremdeten figurativen oder seinen abstrakten Werken können sie einen Raum der Ruhe und Besinnung eröffnen, der uns die Möglichkeit der Freiheit und inneren Unabhängigkeit spüren läßt. 

Die Fotografie wurde in den 1950iger und 1960iger Jahren Trumpf. Gerhard Richter lehnte sie nicht ab. Er übermalte sie, verzerrte Konturen und verfremdete und erweiterte damit die Bildaussagen. Beispielhaft steht der Bilderzyklus „18.Oktober 1977“ dafür.
Die RAF hatte die Bundesrepublik durch ihre Aktivitäten in eine schwere Krise gebracht, deren Höhepunkt die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ war. Nach der erfolgreiche Befreiung in Mogadischu wählte der harte Kern der RAF in der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim den Freitod.
Nach mehr als 10 Jahren bearbeitete Gerhard Richter die Fotografien der Toten, verwischte sie bis zur Unkenntlichkeit, färbte sie in einen dunklen Grauton und übermalte die schemenhaft erkennbare, an einem Fensterkreuz hängende Frauenleiche mit weißer Farbe. Zweimal führte der aus 15 Ölgemälden bestehende Zyklus zu erheblichen Diskussionen. Warfen die einen Gerhard Richter eine Glorifizierung der RAF vor, die er in keiner Weise beabsichtigt hatte, empörten sich andere daran, dass der Zyklus 1995 an das Museum of Modern Art in New York verkauft wurde. In einem Interview mit Hubertus Butin erwiderte Gerhard Richter: 

„„Vielleicht sehen die Amerikaner aufgrund ihrer Distanz zur RAF eher das Allgemeine des Themas, ... : die generelle Gefahr von Ideologiegläubigkeit, von Fanatismus und Wahnsinn.“ “
Richters RAF-Zyklus nach New-York verkauft: kultureller Gewinn oder Verlaust?“ Kunstforum International Bd. 132, 1995, S,432

Er hatte es selbst erlebt!

Gerhard Richter ist 90 Jahre alt!
Sein Lebenswerk liegt vor uns. 

In Dresden zeigen die Staatlichen Kunstsammlungen bis 01.05.2022 40 seiner Werke, die er selbst geplant und kuratiert hat. Sie stellen die wichtigsten Themen seines Schaffens dar: Portraits. Glas. Abstraktionen! Es ist eine sehr persönliche Auswahl mit Porträts seiner Familie, glücklichen Momenten in der Natur, eine Referenz an seine Geburtsstadt Dresden. Mit dem Gemälde „Fels“ wurde vor 20 Jahren die permanente Präsentation von Richters Werken in Dresden geboren. Sein allerletztes großes abstraktes Bild mit der Nummer 952-4 von 2017 beschliesst die mit seinen Spiegel- und Glasscheibenarbeiten, Farbtafeln, einem 20 Meter langen „Strip (930-6)“ und einem berauschenden Farbenmix durch „4900 Farben“ergänzte Präsentation.

Ausstellungsansicht „GERHARD RICHTER:
Portraits. Glas. Abstraktionen“
© Gerhard Richter 2022, Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: David Pinzer

Die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen  in Düsseldorf zeigen bis 24.4.2022 im K21 Gerhard Richters „Birkenau“-Zyklus aus dem Jahr 2014. Vier Fotografien, die im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1944 von Häftlingen des Sonderkommandos heimlich gemacht worden waren, entdeckte Gerhard Richter in Georges Didi-Hubermans Buch „Bilder trotz allem“. Seine schon lange währende Auseinandersetzung mit dem Thema „Holocaust“ und der Darstellbarkeit  der nationalsozialistischen Verbrechen, auch mit dem Ziel des Erinnerns, fand in diesen auf große Tafeln (260 x 200 cm) projizierten 4 Fotografien seine erhoffte Lösung. Er bediente sich verschiedener Techniken. Die Zweifel, dieses unsägliche Thema überhaupt durch Kunst darstellen zu können, waren einfach zu groß. Letztlich übermalte er sie vollends, das Figürliche endete in einer Abstraktion. Im Gegensatz zu seinen bisherigen eher farbenfrohen Abstraktionen beherrschen den Birkenau-Zyklus dunkle, gedämpfte Farben, die durch einzelne weiße, rote und grüne Hoffnungsschimmer durchbrochen werden.

Alle vier Gemälde gehören zu einem Bild!

Gerhard Richter #10
Gerhard Richter. Birkenau-Zyklus, Zeichnungen, Übermalte Fotos |
Gerhard Richter: Zyklus „Birkenau“ (2014) A
Alte Nationalgalerie Berlin 2021 © Gerhard Richter 2021

Gerhard Richter #11
Gerhard Richter. Birkenau-Zyklus, Zeichnungen, Übermalte Fotos |
Gerhard Richter: Zyklus „Birkenau“ (2014)
Alte Nationalgalerie Berlin 2021 © Gerhard Richter 2021

Gerhard Richter #12
Gerhard Richter. Birkenau-Zyklus, Zeichnungen, Übermalte Fotos |
Gerhard Richter: Zyklus „Birkenau“ (2014)
Alte Nationalgalerie Berlin 2021 © Gerhard Richter 2021

Gerhard Richter #13
Gerhard Richter. Birkenau-Zyklus, Zeichnungen, Übermalte Fotos |
Gerhard Richter: Zyklus „Birkenau“ (2014)
Alte Nationalgalerie Berlin 2021 © Gerhard Richter 2021

 

„Gerhard Richter: Über Malerei zu reden ist nicht nur sehr schwierig, vielleicht sogar sinnlos. “
Abstrakte Bilder, Köln, 2009 von Martin Seidel, Kunstforum International, Bd. 195, S.345

Lassen wir die Bilder auf uns wirken!

 

Die Neue Nationalgalerie in Berlin stellt bis zum 29.05,2022 in ihrer Kunstbibliothek Gerhard Richters Künstlerbücher aus. Bereits 1966 entstand das erste Künstlerbuch von Gerhard Richter in Zusammenarbeit mit Sigmar Polke. Die Bücher zeigen Bilder des Künstlers, gemalt in den unterschiedlichsten Techniken mit oft humoristischen Akzenten. Die Ausstellung zeigt fotografische Reproduktionen seiner gemalten Bilder, dabei schufen Bearbeitungen und Teilvergrößerungen neue Sichtweisen. Ergänzt werden diese Bücher mit Bildern des Zufalls, als das Gegenüber des Künstlers, mit dem er bewußt die Texte in Büchern zerteilte und zusammensetzte oder die Dynamik von Farben und Mustern in Bildern variierte.

Gerhard Richter schuf auch  die „Ruhrtalbrücke“  1969, eines seiner schönsten Landschaftsbilder. Diese Mintarder Ruhrtalbrücke überquerte er, wenn er in Essen auf Besuch war. Harmonisch schwingt sich das Viadukt über das unberührte Ruhrtal, kein Schornstein stört  den Wohlklang der Natur. 

Gerhard Richter installierte auch „Zwei graue Doppelspiegel für ein Pendel“ in der  profanierten Dominikanerkirche in Münster. Eine 28 kg schwere Metallkugel pendelt an einem 29 Meter langen Stahlseil.
… in der Beobachtung beginnt man die Zeit zu fühlen! 

Gerhard Richter gestaltete auch drei Kirchenfenster in der Abteikirche St. Mauritius im saarländischen Tholey, die der Künstler in abstrakter Form in einer bunten Vielfalt gemalt hat. Abstrakt, weil die hier ansässigen Mönche darin viel eher das Göttliche empfinden als in einer figurativen Darstellung. 

 

Als ihn Doris von Drathen fragte
„Ist das gemalte Bild (einer Tasse) näher an der Wirklichkeit oder am Schein?“ antwortete Gerhard Richter:

 

„Erst mal näher am Schein, aber es hat mehr Wirklichkeit als ein Foto, weil ein Bild selbst mehr Objektcharakter hat, weil es sichtbar mit der Hand gemalt ist, greifbar materiell hergestellt ist. Dadurch hat es eine eigene Wirklichkeit, die dann quasi die Wirklichkeit der Tasse ersetzt.“
Malen ist etwas ganz und gar Lebensnotwendiges. Gerhard Richter im Gespräch mit Doris von Drathen. 1992, Kunstforum International, Bd.131, S. 265

Staatliche Kunstsammlungen Dresden,  Albertinum
Tzschirnerpl. 2, 01067 Dresden
05.02.2022—01.05.2022
Öffnungszeiten
täglich 10—17 Uhr, Montag geschlossen

Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, K21
Ständehausstraße,  140217 Düsseldorf
18.12.2021 — 24.4.2022
Öffnungszeiten
Dienstag – Freitag 10 – 18 Uhr, Samstag, Sonntag, Feiertag 11 – 18 Uhr

Neue Nationalgalerie Berlin
Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin
10.02.2022 bis 29.05.2022
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr