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Becoming CoBrA. Anfänge einer europäischen Kunstbewegung. Kunsthalle Mannheim

Sonja Ferlov Mancoba
Komposition/
Composition
Kunstmuseim Brandts
Odense

Das Ende des 2. Weltkrieges war historisch, gesellschaftlich und nicht zuletzt auch im Kunstbetrieb ein gravierender Wendepunkt. Die am Beginn des 20. Jahrhunderts aufbrechenden avantgardistischen Ideen in der europäischen Kunst waren durch die Nazis zum Erliegen gekommen. In den kommunistisch beherrschten Gebieten wandelte sich die  Kunst in den sozialistischen Realismus. Mit dem abstrakten Expressionismus und dem Action Painting erlebte die bildende Kunst allerdings in Amerika einen zukunftsträchtigen modernen Aufschwung. Die großen europäischen Nationen waren durch den Krieg ausgelaugt, positive künstlerische Traditionen hatte der lange Krieg zugedeckt, so dass sich kreative Gedanken nur langsam ihren Weg bahnen konnten und sich mit Informel und Tachismus amerikanischen Ideen näherten.

Um so bemerkenswerter sind Aktivitäten in einigen kleineren, ehemals von deutscher Besatzung heimgesuchten und terrorisierten Ländern, die aus ihren schon in der 1930iger Jahren entstandenen Ideen den Mut für eine wahre, einfache Kunst aufbrachten. Dänische, belgische und niederländische Künstler bezeugten mit ihrem Manifest, den festen Willen, althergebrachte Denkweisen zu überwinden. 1948 gründeten sie die Künstlervereinigung „CoBrA“. Ihnen eng verbunden war der Franzose Jean Dubuffet(1901 – 1985) zu ähnlichen Überzeugungen gekommen. Er hatte mit seiner Kunst den Begriff der „Art Brut“ (rohe Kunst)  geprägt.

Basis ihrer gemeinsamen Ansichten war die radikale Kritik an der bisherigen Kultur und Kunst. Bewusst vermieden sie jede Gemeinsamkeit mit avantgardistischen Tendenzen der Vorkriegszeit. „… Es ist der Entschluss, bei Null anzufangen.“ (Jean Dubuffet).

CoBrA – den Namen gaben die Städte Cobenhagen, Brüssel und Amsterdam – wurde von den Malern
Asger Jorn (1914 – 1973),
Pierre Alechinsky, (*1927),
Karel Appel (1921 – 2006),
Constant (Constant Anton Nieuwenhuys, 1920 – 2005) und
Corneille (Guillaume Cornelis van Beverloo, 1922 – 2010) und dem Literaten
Christian Dotrement (1922 – 1979) gegründet. 

Karel Appel
Ohne Titel/ Untitled
1947, Guache auf Papier
69,4 x 50 cm
Karel Appel Estate
Niederlande

 

 

Constant,
Fantastische dieren/
Fantastische Tiere
Fantastic Animals
1947,
Kunsten Museum of Modern Art Aalborg,
Niederlande

In ihrem von Constant verfassten Manifest betonten sie, dass die bisherige bürgerlich-individualistische Gesellschaft keine Möglichkeiten der kreativen Entfaltung biete, im Gegenteil „…der freie Ausdruck menschlicher Vitalität“ sei eher behindert. 

 

Auch die modernen Strömungen der abstrakten Kunst in Amerika und Europa „mit ihrem fatalen Hang zum Konstruktiven“ lehnten sie vehement ab.  Den Surrealisten erteilten sie eine Abfuhr, weil deren Kunst auf Ideen der alten Klassengesellschaft beruhe und eine bürgerlich-akademische Ästhetik verfolge. 

Die Enthusiasten der CoBrA-Gruppe waren überzeugte Sozialisten. Folgerichtig postulierten sie, dass die Kunst allen gehören müsse und nicht das Werk von nur Spezialisten sein könne. Den Kern ihrer Kunstauffassung formulierte Pierre Alechinsky so: 

„Cobra, das ist Spontaneität; die totale Abkehr vom Kalkül der kalten Abstraktionen, von den pauperistischen oder ‚optimistischen Spekulationen, die der sozialistische Realismus zeitigt. Eine Absage an alle Formen, in denen der Zwiespalt zwischen einem Denken, das frei ist, und einem Handeln, das sich frei ausmalt, manifest wird. Eine Bewegung von internationalem Charakter und ein Wille zur Abschaffung des Spezialistentums in den Künsten (Maler schreiben, Schriftsteller malen) ...“
Kunstgeschichte, Laudius, Kapitel 32, S.5

Freies unverfälschtes Denken, spontane Ideen, ungezwungene, unbefangene, nur der eigenen Vorstellung verpflichtete Darstellung „des Lebens“ in all seinen positiven und negativen Facetten entsprach ihrem künstlerischen Kalkül, so wie es Kinder tun, wenn sie malen. 

Der Franzose Jean Dubuffet schritt noch weiter, indem er sich ernsthaft mit der Kunst sogenannter Geisteskranker beschäftigte, die ebenfalls frei von äußeren Einflüssen ihre Werke niederlegten. Diese andere „rohe Kunst“ – Art autre  (Art brut) – wurde 1946 durch eine Dubuffet-Ausstellung bekannt. 

Gemeinsam war allen genannten Künstlern der CoBrA-Gruppe und Jean Dubuffets ihr künstlerisches Wirken auch auf literarisches und musikalisches Gebiet allein oder in verschiedenen Zusammensetzungen auszudehnen. 

Erste Regungen, nordische Folklore, Kinderzeichnungen, Tiere, Märchen – und Fabelwesen, Alltagsdinge oder Szenen aus der nahen Natur als Inspirationen für ihre Darstellungen zu verwenden, beobachtet man in diesen Ländern bei einzelnen Künstlern schon in den 1930iger Jahren. 

Über Henry Heerup (1907 – 1993), er arbeitete plastisch, malte und komponierte, schreibt Willemijn Stokvis:

„Heerup verkörpert den wahren, „natürlichen“ Künstler. Es ist, als sei er dort schon lange zu Hause, wohin die anderen erst streben. Bereits in den frühen dreißiger Jahren schafft Heerup in der „Werkstatt“ seines Gartens, in einer Hütte auf einem verwilderten Gelände außerhalb von Kopenhagen, originelle Skulpturen aus Stein und Holz und diverse Assemblagen aus Schrott und Abfällen aller Art. “
cobra, Willemijn Stokvis, Eine internationale Bewegung in der Kunst nach dem zweiten Weltkrieg, Seite 9 und 10, Barcelona 1987

Henry Heerup
Doden hoster/
Der Tod erntet/
The Dead Reaps.
1943,
Louisiana Museum of Modern Art
Humlebaek
Dänemark

Else Alfelt
Tjuvkil Wasserfall/
Tjuvkil Waterfall
Tjuvkil 1947
Carl-Henning Pedersen &
Else-Alfelt Museum,
Herning

Ejler Biller (1910- 2004) entwickelte sich vom Pionier der abstrakten Kunst in Dänemark zum bedeutendsten bildenden Künstler seines Landes des 20. Jahrhunderts.

Oder Else Alfelt (1910 – 1974); sie lernte Anfang der 1930iger Jahre ihren späteren Mann Carl Henning Pedersen (1913 – 2007) kennen. Mit ihm gehörte sie mehreren Künstlergruppen an, die ideell den Geist von KoBrA vorbereiteten. Beide waren Mitglieder von KoBrA. Später distanzierte sie sich allerdings von den viel freier malenden übrigen Mitgliedern durch ihre doch „kalkulierte Spontanität“. Bekannt sind ihre mit rhythmischen Pinselstrichen erzeugten abstrakten Kompositionen. 

 

Ähnlich wie Jean Dubuffet malte ihr Mann Carl Henning Pedersen Bilder nach dem Vorbild sogenannter Geisteskranker.Der Malerkollege Egill Jacobsen (1910 – 1998) schrieb 1941 über Pedersens Bilder: 

„Die Fantasie wird ihre Gefängnisse sprengen. Fantasie und Wirklichkeit werden eins werden, wie sie eins sind in den Märchen, in der Poesie, in den Bildern von Carl-Henning Pedersen.“
Kunstgeschichte Laudius, Kapitel 32, S.7

Einer der bedeutendsten und erfindungsreichsten Maler der CoBrA-Bewegung und darüber hinaus war der Däne Asger Jorn. Er lebte in den 1930iger Jahren in Paris. Vorbereitend auch schon in den 30iger und 40iger Jahren in diesem Sinne tätig, formulierte er seine Gedanken so:

„... man kann nur zur Wahrheit kommen, indem man seine Fantasie für die unglaubwürdigsten Bilder wie die von Bosch und Breughel einsetzt, aber dann in einer bildnerischen Sprache wie bei den alten Indianern, Wikingern, Primitiven und nicht in einer surrealistischen-naturalistischen Sprache. Wir sollen keine Beschreibung des Menschen als Tier geben. Aber sollen uns selbst als Tier beschreiben. Das ist unser Weg.“
Kunstgeschichte Laudius, Kapitel 32, S.10

Er und seine Malerfreunde setzten diese Ideen mit vitalen und impulsiven, häufig pastös geschichteten Farbaufträgen um. Mit kräftigen Farben, spontan kreativen Gestaltungseinfällen während des Schöpfungsaktes schufen sie Bilder mit  imposanten figurativen und abstrakten Elementen. Höchstes Ziel war es, Gefühle und erlebte Empfindungen auszudrücken. Bewusst wirken sie, die Tierköpfe, mythischen Märchengestalten, Fratzen, Masken oder die dunklen Pflanzenwelten wie von Kinderhand, dabei ihre tiefen Aussagen verschleiernd. Es ist eine besondere, eine eigene Welt, die sich in der bildenden Kunst ab den 1930iger Jahren in Dänemark, Belgien und den Niederlanden fast parallel entwickelte, bevor es 1948 zum Zusammenschluss kam.

Diesem Empfinden folgt die aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim schon in ihrem äusseren Design. Die Räumlichkeiten der Sonderausstellung erstrahlen in Farben namens „Apricot“, „Magma“ und „Lachs“. Kuratorin Christine Bergemann erklärt dazu: „Die rötlichen Töne stehen für Leben und Dynamik – aber auch für Rebellion. Die Wahl der Grundfarben für die Schau treffen den Geist dieser avantgardistischen, vielseitigen und lebendigen Kunstbewegung.“

Becoming CoBrA
Kunsthalle Mannheim,
Friedrichplatz 4,
68165 Mannheim
18.11.2022 bis 05.03.2023

Führungen, Veranstaltungen unter kunsthalle@mannheim.de
Telefon: +49 621 293 6423

Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag/Feiertag 10 bis 18:00 Uhr
Mittwoch 10 bis 20:00 Uhr
Montag geschlossen