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Ausstellung »Sprachblätter – poesie spatiale – Carlfriedrich Claus und Ilse und Philipp Garnier«

Die Kunstsammlungen Chemnitz präsentieren zur  Zeit eine Ausstellung über 3 Künstler, die in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts beginnend Ausdruckformen ihres künstlerischen Gefühls suchten, die den wenigsten unter uns bekannt sein dürften. Eine neue Form avantgardistischer Kunst entwickelte sich. Man versteht sie, wenn man den Gedanken des deutschen Philosophen Max Bense folgt, der an der Schwelle der 50iger/60iger Jahre in der Poesie eine radikale Änderung der Ausdrucksformen forderte.

Pierre Garnier
Blatt 1 der Folge Van Gogh, Spatialistische Bildergeschichte, 1981
aus der Mappe Toute seconde est une première,
eikon Grafik-Presse Dresden, 1984
Strichätzung, Hochdruck, 50,0 x 40,0 cm
Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Lázló Tóth
© Violette Garnier

Diesem Gefühl entsprachen Künstler in vielen Ländern der Welt. Ihr Ziel war es, mit einer Symbiose aus Ton, Text und Bild, die sie in Beziehung zu einem Raum stellten, Interpretationen von Situationen, Gegebenheiten und Gefühlen zu geben, die über Ländergrenzen hinweg von Gleichgesinnten verstanden wurden, Anlass zur Kommunikation und künstlerischer Auseinandersetzung boten. Das Ziel, Inhalte auf Elementares zurückzuführen, führte zum Zerlegen der Sprache. Die endgültige Form eines Werkes sollte die anfängliche Idee des Künstlers aber auch die des Zufalls durch Materialbedingtheit sein. Material besitzt seine eigenen Eigenschaften und reagiert bei seiner Bearbeitung/Zerstörung unterschiedlich.

Werke dieses Genres bildeten eine Brücke zwischen Literatur und bildender Kunst. Es entstanden Sprachblätter, Klangtexte, Lautpoesien, Bildtexte und Textbilder, Tonbänder mit Artikulationen, Grafiken. Die Umsetzung erfolgte in einer Weise, die über Grenzen hinweg verstanden wurde von denen, die das Gleiche empfanden. Vor allem die Erfahrungen im Dritten Reich, die die willkürliche Einbeziehung der bildlichen Darstellung in die herrschende Ideologie zeigte,  führte zu grafischen Umwandlungen eigener Gefühle (Vibrationstexte), politischer Ereignisse („Aurora“, Nach der Schlacht bei Frankenhausen) oder berühmter Gemälde („Abendmahl“).

Carlfriedrich Claus
Nach der Schlacht bei Frankenhausen,
nach Thomas Müntzers Tod;
die Idee aber der kommunistischen Revolution lebt weiter
, 1966
Feder, Tusche blau beidseitig auf Transparentpapier, 20,8 x 14,3 cm
Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Lázló Tóth
© VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Die Kunstsammlungen Chemnitz verfügen über einen Schatz. Sie bewahren  den Gesamtnachlass von Carlfriedrich Claus (1930 – 1998) in einer Stiftung und verfügen damit über eine große Auswahl dieser Kunstform. Carlfriedrich Claus lebte und arbeitete im Erzgebirge in Annaberg-Buchholz. Ausgehend von literarischen und grafischen Experimenten entwickelte er eine breite Vielfalt dieser künstlerischen Ausdrucksformen. In der aktuellen Ausstellung können eine ganze Reihe sogenannter Sprachblätter bewundert werden, die die Synthese aus Geschriebenen und Gezeichnetem zeigen, in denen Schriftkritzel, grafische Partien und partielle bildliche Gesten zum Teil beidseitig auf Transparentpapier aufgebracht ein nahezu räumliches Gefühl erzeugen.

Carlfriedrich Claus
Lettre allégorique à Pierre Garnier, 1964
Feder, Tusche beidseitig auf Transparentpapier, 29,8 x 21,0 cm
Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv
Foto: Archives Ilse et Pierre Garnier
© VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Carlfriedrich Claus war beeinflusst von anthroposophischen Gedanken, den philosophischen Vorstellungen Ernst Blochs („Prinzip Hoffnung“ – Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.) Claus bezeichnete sich als Kommunist, haderte aber mit der DDR-Realität. Ausstellungen seiner Werke im westlichen Ausland gelangen nur mit Hilfe von Freunden. Und da wurden sie auf ihn, den Gleichgesinnten, den Bruder im fernen Erzgebirge aufmerksam: Ilse (*1927) und Pierre (1928 – 2014) Garnier aus dem französischen Amiens. Auf einer Reise durch Europa besuchten sie ihn 1963 in Annaberg. Es war der Startschuss für eine lebenslange Freundschaft, einen intensiven Briefwechsel mit Diskussionen über ihre Kunst und zu gesellschaftlichen Ereignissen.

Pierre Garnier
KREIS UND NULL Keine Diktatur kann dauern, 1990
Blatt 2 der Folge 33 Signale für Carlfriedrich Claus, 1990
Kugelschreiber, grüner Faserstift, 29,7 x 21,0 cm
Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Lázló Tóth
© Violette Garnier

Ein reger Austausch zu ihren Werken, Anregungen zu neuen Arbeiten und die gegenseitige Bekanntmachung befruchteten diese Verbindung.

Links: Ilse Garnier
La forêt respire (Der Wald atmet) 1991/2015
Blatt 2 der Folge Conte de la grande forêt (die Geschichte vom großen Wald), 1991/2015
Siebdruck, 41,0 x 25,5 cm
Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Lázló Tóth
© Violette Garnier

Rechts: Ilse Garnier
Das gefrorene Lied 1987/88/96
Blatt 8 der Folge WINTER LANDSCHAFT MIT VÖGELN, 1987/88/96
Siebdruck, 25,0 x 25,0 cm
Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Lázló Tóth
© Violette Garnier

Die Ausstellung lebt von dieser Freundschaft, Werke aller 3 Künstler und Teile ihres Briefwechsels bezeugen diese wunderbare Symbiose.

„Du bist schon fast zu einer Sage geworden – Carlfriedrich und das Erzgebirge; der Geist, der aus den Tiefen kommt und das, was er dort schürft, ins Weltumfassende ... verwandelt ... nicht Weltabwendung, sondern Weg ins Offene. Ein Sich-Wagen, auch seine Innerlichkeit wagen. “
Ilse Garnier an Carlfriedrich Claus, 20.5.1985

23.09.2018 – 06.01.2019

Kunstsammlungen Chemnitz
Museum am Theaterplatz
Theaterplatz 1 / 09111 Chemnitz

Di bis So, Feiertag 11 bis 18:00 Uhr
Ab 01.11. 2018 Mi 14 bis 21 Uhr

Eine Edition des Briefwechsels zwischen Ilse und Pierre Garnier und Carlfriedrich Claus liegt vor. Das Begleitprogramm ist unter www.kunstsammlungen-chemnitz.de zu erfragen.