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ALBERT VENUS. Der letzte Romantiker RAIMUND GIRKE. Gespannte Ruhe Kupferstich-Kabinett Dresden

Das Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden überrascht in diesem Herbst mit zwei parallelen Einzelausstellungen. Ihre Werke könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein. „Albert Venus – der letzte Romantiker“ trifft auf  „Raimund Girke in Gespannter Ruhe“, zwei Maler, ähnlich in ihrem Denken und Wirken. Beide ordneten sich nicht einfach in das herrschende Kunstklima ein,
sondern suchten ihre eigenen Wege. Beide fanden in der Natur, in groß angelegten Landschaftsideen ihre Motive und verfolgten die Fiktion ihrer persönlichen künstlerischen Erkenntnisse konsequent. All das fühlend begrüßen den Besucher am Beginn der Ausstellung nebeneinander zwei Werke der beiden Künstler, Motive mit Bleistift auf Papier gezaubert aus den Jahren 1866 und 2001 „Brunnen unter Bäumen“.

 

Raimund Girke, Ohne Titel, 2001
© Staatliche Kunstsammlungen
Dresden/Kupferstichkabinett,

 

 

Albert Venus, Brunnen unter Bäumen, 1866
© Staatliche Kunstsammlungen
Dresden/Kupferstichkabinett
Foto: Michael Neubauer

 

Dem 1842 in Dresden geborenen  Franz Albert Venus war nur ein kurzes Leben beschieden. Er erlag schon mit 29 Jahren 1871 einer Tuberkulose. Talentiert und gefördert hatte er schon mit 14 Jahren die Dresdner Königliche Akademie der bildenden Künste besuchen können. Nach 4 Jahren wechselte er für 6 Jahre in das Atelier des renommierten und allseits geachteten Malers und Kunstprofessors Ludwig Richter (1803 –  1884). Richter verkörperte die Dresdner romantische Schule, so dass man in den ersten Werken von Albert Venus alle spätromantischen Züge verfolgen kann. 

 

Blick in die Ausstellung
„Der letzte Romantiker. Albert Venus“
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Oliver Killig

Bild: „Rast am Bache“, 1863

Albert Venus, Weite Mittelgebirgslandschaft,
um 1866? Pinsel in Wasserfarben über Bleistift,
133 x 218 mm, Kupferstich-Kabinett
© SKD,
Foto: Andreas Diesend

Die Romantik war durchaus als Gegenbewegung zur vernunftbetonten Aufklärung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entstanden. Gefühlsbetonte, phantastische, kritische, aber auch abseitige, ins Symbolhafte weisende Motive versuchten eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen zu formulieren, denkt man z.B. an das Werk und die Schriften Philipp Otto Runges (1777 – 1810).
Die so genannten „Nazarener“ bildeten das Pendant zu dieser romantischen Malerei in Deutschland. Sie orientierten sich an den gefeierten Vorbildern der italienischen Renaissancemalerei oder an der rückwärts gewandten „altdeutschen“ Kunst Albrecht Dürers und seiner Zeitgenossen.
In diesem Umfeld unterschiedlichster Kunstauffassungen lehnte sich Albert Venus fest an sein großes Vorbild Ludwig Richter an. Bis 1866 war er an mehreren Malreisen ins Böhmische gemeinsam mit seinen jungen Künstlerkollegen Adolph Thomas (1834  -1887), Carl Wilhelm Müller  (1839 – 1904) und Viktor Paul Mohn (1842 – 1911)  beteiligt, die unter Leitung von Ludwig Richter standen.

Für mehrere hier angefertigte Bilder bekam Albert Venus Ehrenzeugnisse. 

Wie für viele Romantiker waren Studienreisen nach Italien geradezu ein Muss. Zweimal gelang es Albert Venus, diesen Traum zu verwirklichen: 1866 und 1869, Reisen, die sein persönliches Können, die Ausformung seiner künstlerischen Persönlichkeit und die Distanz zum Bisherigen auslösten. Rom, die Sabiner und Albaner Berge, Civitella, Tivoli, das weite, sonnendurchtränkte Land der Campagna boten die vielfältigsten Motive für jede künstlerische Neigung. Neben Rom (Villa Malta, Palazzo Caffarelli) trafen sich die „Deutschrömer“ und viele andere Künstler in der kleinen Gemeinde Olevano Romano, östlich von Rom. Die A1 südlich von Rom bei Colleferro verlassend erreicht man diesen malerischen Ort hoch oben auf dem Bergrücken der Monti Prenestini nach einer halben Stunde Fahrt. Karl du Prel (1839 – 1899, Philosoph, Schriftsteller) schrieb in der „Gartenlaube“ von 1874:

„Zur Rechten des Städtchens aber liegt ein runder grüner Hügel, von einem einzeln stehenden Häuschen gekrönt. 
Dies ist die Casa Baldi, die deutsche Künstlerherberge.“
Karl du Prel, „Gartenlaube“ von 1874, Heft 10, S. 165:

Auch Albert Venus war Gast in dieser Unterkunft, die noch heute, zur Deutschen Akademie Rom Villa Massimo gehörend, Stipendiaten für 3 Monate Gelegenheit gibt, ihre künstlerische Orientierung zu festigen.
Gemeinsam mit seinem Kommilitonen Viktor Paul Mohn verfolgte Albert Venus die Wege, die einst ihr Lehrer Ludwig Richter einschlug, ja, sie malten sogar die von ihm vorgegebenen Motive. Aber anders als bei Viktor Mohn regte sich in Albert Venus das wachsende Gefühl, etwas Anderes, Neues zu wollen, etwas, was seinem Empfinden entsprach.


Albert Venus
Rocca Roiate bei Civitella, 1866
Aquarell, Feder in brauner Tinte, Bleistift
© Kunsthalle Bremen

Welche Farben,
welche Komposition,
welche geometrische Vereinfachung der Formen!

Foto: Michael Neubauer

Das Verhältnis zur Farbe, seine Beziehung zur Zeichnung sah er zunehmend anders als sein Lehrer Ludwig Richter, der die Zeichnung in den Mittelpunkt jeder künstlerischen Leistung stellte. Venus erkannte die Farbe als das wesentliche Gestaltungsmittel, die nicht nur zum Ausmalen der Zeichnung dienen sollte, sondern selbstbewusst Grenzen, Zusammenspiel, Stimmungen erzeugen konnte. Hatte er es schon in früheren Bildern unbewusst bei der behutsamen Darstellung z.B.von Wolkenbildern getan (siehe oben „Rast am Bache“), erkennt man sein Gefühl für harmonische Schwingungen weiträumiger Landschaften, die er noch vor diesen Reisen schuf („Landschaft bei Sebusein“, 1865), so trennt  sich Albert Venus jetzt mit seinen italienischen Landschaftsbildern von seinem künstlerischen Vormund Ludwig Richter immer mehr und schafft warme, farbenreiche, gefühlvolle Abbilder der weiten Campagna. 

Albert Venus, Campagnalandschaft,
1866/1869
Aquarell, 127 x 187 mm, Kupferstich-Kabinett
© SKD,
Foto: Caterina Micksch

Er hielt die Landschaft in vielen Skizzen und Ölstudien fest, die lichterfüllt und in einer breiten kompositorischen Anlage einerseits an Arbeiten der Frühromantik erinnern (Carl Blechen (1798 – 1840), Andreas Achenbach (1815 – 1910), andererseits die Freilichtmalerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorwegnehmen.

Während des zweiten gemeinsamen Rom-Aufenthaltes 1869 schrieb Viktor Mohn in sein Tagebuch: „Der Teufel reitet ihn, sein zweites Wort ist – Achenbach!“ Mohn selbst konnte diesen neuen Auffassungen nicht folgen, er hielt an der Richterschen Malweise bis zu seinem Ende fest, was letztlich zum Erkalten der jahrelangen Freundschaft zwischen den beiden Richter-Schülern führte.

So wie Albert Venus es in seinem Tagebuch in Worte fasste, folgten ihm seine Farben auf Papier und Leinwand:

„Das schweigende Meer feingeschwungener, erstarrter Hügelwellen, das feierlich stille, erinnerungsreiche und ergreifende Trümmer- und Gräberfeld vor den Toren Roms …“
aus Karl Josef Friedrich „Karl Ludwig Richter und sein Schülerkreis“, Leipzig 1956, S.118)

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Raimund Girke (1930 – 2002) wurde weniger als 100 Jahre  nach Albert Venus in Niederschlesien geboren. Viel war mittlerweile in der bildenden Kunst passiert. Nach dem Impressionismus stritten um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert eine Reihe von Stilrichtungen um ihre Daseinsberechtigung oder gar Vorherrschaft. Die dunklen Jahre der Naziherrschaft implodierten 1945, eine neue, abstrakte Zeit in der Kunst war die berechtigte Antwort auf alles Bisherige. Vom Abstrakten Expressionismus über Informel, Farbfeldmalerei, Tachismus, Art Brut, Hard Edge bis zur Lyrischen Abstraktion füllten sich die ersten 20 Nachkriegsjahre in Amerika und Europa. Am Beginn der 1960iger Jahre wandelte sich das Bild nochmals, neben der amerikanischen Pop Art, Minimalismus, Neodadaismus führte die Konzeptkunst vehement in eine publikumswirksame und -beteiligende Kunst. Schrille und laute Töne auf öffentlichen Plätzen verbannten die Kunst aus Ausstellungen und Museen. Alles wurde Kunst.

Und dazwischen Raimund Girke, mittlerweile Absolvent der Werkkunstschule Hannover. Hier und später an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf als Dozent tätig, nahm er 1971 eine Professur an der Hochschule der Künste in Berlin an.
Er gehörte nie zu den Lauten, Auffälligen. So hatte er es auch nicht einfach, sich Gehör zu verschaffen, zumal seine Kunst eine Kunst des Fast-Nichts war. Weiß war seine Farbe, die er in all seinen schöpferischen Jahren behutsam und unaufdringlich zu bearbeiten wußte, in eine Kunst, die der bewußten einfühlsamen Aufmerksamkeit des Betrachters bedarf. Aber dann ist das Verständnis wie eine plötzliche und nachhaltige Eingebung da. Dann drängt er sich auf, der Vergleich zu den Weiten italienischer Campagna-Fluren, der Lust, mit der einen Farbe zu gestalten, die Natur zu analysieren.

„Weiß ist Ruhe und Bewegung, ist Aktivität und Passivität. Weiß ist Reinheit und Klarheit. Weiß ist grenzenloser dimensionaler Raum, ist immateriell. Weiß ist reine Energie. “
Girke, 1966, Pressematerial SKD

Die Werkauswahl umfasst rund 45 Papierarbeiten, die es erlauben, den Künstler in all seinen Schaffensphasen von den Anfängen bis kurz vor seinem Tod vorzustellen. Neben dem später bestimmenden Weiß konkurrieren in seinem Frühwerk noch dunkle, brauneTöne, die er später wieder verließ.

„Das gestische Frühwerk geht bald in ein feinnerviges Tupfen über, bevor dieser fließende Stil dann ab Ende der sechziger Jahre in … den strengen Lamellenbildern gestoppt wird. … In der Grafikfolge „Schattenlicht“, noch einmal 20 Jahre später, erprobt Girke dann erneut wie im Frühwerk die Helligkeit des Schwarz und die Tiefe des Schattens, bevor sie von der Dämmerung langsam geschluckt werden. … - so entdeckt Girke 1990 den Zauber des Blau in so zart leuchtenden Bildtiteln wie „Durchlässig“, „Sehr leicht“ und „Helle Spuren“. “
Florian Illies in Pressematerial zur Ausstellung

Raimund Girke, Ohne Titel,
1978 Wasserfarbe, 458 x 383 mm,
Kupferstich-Kabinett
© Nachlass Raimund Girke,
VG Bild-Kunst Bonn 2022,
Foto; Caterina Micksch

 

„Grau ist die Basis; Grau ist der Farbbereich,
von dem aus sich die Farbe
in das Weiß und das Schwarz bewegt.“
Girke, 1984, Pressematerial SKD

Raimund Girke gab seinen Werken keine außenbildliche Bedeutung. Farbe und Licht prägen den mit seinen Arbeiten bestückten Raum.

Der Kunsthistoriker Klaus Honnef bezeichnete Girkes Werke als Provokation!
Provokation nicht als aggressive Stimulanz, sondern als Herausforderung an die Sensibilität dicht bei der Wahrnehmungsgrenze, in einer lauten, reizüberfluteten Umwelt eine Toleranzprobe des Auges, als Sehtest des kaum noch Wahrnehmbaren.
(Kunstforum International, Band 8/9, Raimund Girke von Peter Winter)

„Ich versuche in meiner Malerei den Eindruck oder Zustand der gespannten Ruhe zu erreichen, einer Ruhe, die Unruhe einschließt. “
Girke, 1979, Pressematerial SKD

Die gemeinsame Dresdner Ausstellung  für Albert Venus und Raimund Girke verdankt das Museum zu einem großen Teil dem Engagement des eloquenten Journalisten, Kunsthistorikers, Schriftstellers und Kunsthändlers Florian Illies. Er ist Initiator, Kurator und Berater für diese inhaltsreiche Präsentation. Seine Expertise für den Künstler Albert Venus ist fabelhaft. Mit Recht kritisiert er, dass Albert Venus in der Vergangenheit immer in der zweiten Reihe als Schüler von Ludwig Richter, wenn überhaupt, genannt wurde. Leider, und ich hoffe Herr Illies wird es mir verzeihen, aber durch die dpa-Meldung zur Ausstellung betiteln alle großen Medien das Ereignis so:“Illies holt vergessenen Romantiker ans Licht“, wieder steht Venus nur in der zweiten Reihe!

Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Kupferstichkabinett im Residenzschloß
Taschenberg 2, 01067 Dresden

Albert Venus. Der letzte Romantiker
Raimund Girke. Gespannte Ruhe
Ausstellung bis 22.01.2023

Öffnungszeiten
täglich 10 – 18:00 Uhr
dienstags geschlossen

Besucherservice
Tel.49 351 4914 2000
besucherservice@skd.museum